Immer der Nase nach…von Sinn und Sinnlosigkeit

Manche Menschen behaupten einen sechsten oder gar siebten Sinn zu haben. Die meisten Menschen, mich inbegriffen, sind aber schon mit den klassischen fünf Sinnen teilweise überfordert.

Für gesunde Menschen gilt: Wir hören, sehen, tasten, schmecken und riechen. Soweit die Theorie. Gerne greifen wir in unserer Sprache zu olfaktorischen Vergleichen. Da riecht es schon mal nach Pumakäfig oder einer Frühlingswiese.

Aber wie sieht es denn in Wirklichkeit aus? Wie oft riechen wir bewusst an etwas? Bevor ich mich mit Wein beschäftigt habe, waren Gerüche für mich eher zweitrangig. Natürlich habe ich den Duft von frisch gekochtem Essen geliebt oder den eines frisch geöffneten Päckchens Kaffeepulver. Damit hatte es dann aber auch sein Bewenden. Gerüche waren stets etwas subtiles und meine Wahrnehmungsschwelle lag recht hoch. Nur bei wirklich intensiven Reizen habe ich diese überhaupt wahrgenommen. Ich bin weder durch die Natur gezogen und habe an Kirschblüten gerochen, noch habe ich mich im Supermarkt durch die Obst- und Gemüseabteilung geschnüffelt.

Je mehr ich mich aber mit Wein beschäftigt habe, desto mehr habe ich mich auf das Riechen konzentriert. Wie ich bereits in Besserwisserei Teil I beschrieben habe, sollten wir einen Wein immer erst schwenken und dann in das Glas riechen. Was uns dann entgegenkommt, ist eine wahre Duftkomposition. Unterschiedlichste Aromen kombinieren sich zu einem bunten Potpourri. Wir könnten auch einfach sagen, riecht nach Wein! Im Ergebnis sicher richtig, aber wohl etwas zu kurz gegriffen. Jeder Wein riecht anders. Selbst Riesling riecht nicht immer nach Riesling. Manchmal erinnert es uns an etwas, manchmal mag es auch klar nach einer Frucht duften. Meistens ist es aber ein kaum durchdringbares Konglomerat an Gerüchen. Vor meinem Dasein als Weinnerd habe ich das Gefasel von „reifem Steinobst“ auch eher für Einbildung gehalten. Inzwischen sehe ich es ein wenig anders.

Ich selbst bin noch meilenweit davon weg, das Niveau eines geübten Sommeliers oder Verkosters zu erreichen. Dennoch sind mir bereits Veränderungen bezüglich meines Näschens aufgefallen. Meine Nase ist trainierter und die Assoziationen werden bestimmter und präziser. Was früher einfach nur fruchtig war, kann ich mittlerweile als gelbfruchtig beschreiben. Manchmal sogar ganz konkret als Pfirsich oder Quitte.

Training für die Nase

Aus wissenschaftlicher Sicht sind Gerüche ganz besonders eng mit Erinnerungen verknüpft. Kaum etwas lässt so stark Emotionen in uns aufsteigen, wie Gerüche. Jeder kennt das, wenn es an Weihnachten nach frisch gebackenen Plätzchen duftet. Ganz schnell sind wir geistig wieder in unserer Kindheit. Dennoch fällt es uns beim Weintrinken schwer, die im Kopf entstehenden Assoziationen konkret zu benennen. Oft denkt man dann: „Es liegt mir auf der Zunge“ oder besser „Es liegt mir in der Nase“.

Jetzt gibt es unterschiedliche Tipps, um seine Geruchswahrnehmungen zu verbessern. Häufig wird empfohlen, sich ein Aromarad auszudrucken oder aufs Handy zu speichern. Sinn dahinter ist es, durch das Lesen der Begriffe die Verknüpfungen auszulösen. Im Prinzip nichts anderes, als würde jemand in der Runde auf einmal ausrufen: „Holunderblüten“ und auf einmal fällt beim Rest der Groschen. Nur das hier eben niemand ruft und ihr euch jedes Aroma selbst vorstellen müsst. Ich bin kein großer Freund davon! Erstens finde ich es irgendwie unsexy bei jedem Glas Wein auf dieses Rad zu starren. Zweitens habe ich ja noch immer das grundlegende Problem, schlicht keinen richtigen Vergleich zu haben. Da hilft mir so ein Aromenrad dann auch nicht weiter. In lustiger Runde lässt sich auch ohne Rad ganz gut raten.

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Eine weitere Möglichkeit ist eine sog. Aromabar. Je nach Ausstattung findet ihr darin dutzende Aromafläschchen von A wie Apfel bis Z wie Zedernholz. Daran könnt ihr dann riechen und bekommt einen Eindruck von dem jeweiligen Duft. Bislang habe ich diese Investition gescheut und werde es wohl auch weiterhin tun. Zunächst werden hier recht ordentliche Preise aufgerufen (120 bis 250 Euro). Außerdem erzählten mir andere Weinliebhaber, dass die Aromen teils künstlich oder übersteuert sind. Ferner scheinen mir die Möglichkeiten begrenzt, schließlich riecht dann doch jeder Apfel und jede Pflaume ein bisschen anders.

Meines Erachtens brauchen wir diesen ganzen Firlefanz aber gar nicht. Wir müssen eigentlich nur viel häufiger Erinnerungen bilden. Im Urlaub nehmen wir uns gerne mal Zeit Eindrücke zu speichern, einen Moment zu genießen. Im Alltag machen wir sowas viel zu selten. Ich kann daher nur jedem empfehlen, öfters an etwas zu riechen. Sei es Obst, Gemüse oder Blumen. Schnüffelt euch ruhig durch den Supermarkt. Wobei ihr während Corona hier vielleicht vorsichtig sein solltet, sonst habt ihr schnell Hausverbot. Mein Ziel ist, Gerüche und Düfte insgesamt bewusster wahrzunehmen. Macht das mal eine Weile und wahrscheinlich werdet ihr schnell feststellen, dass eure Assoziationen besser werden. Außerdem werdet ihr schnell merken, dass ihr allgemein mehr riecht. Sinne lassen sich trainieren. Dazu eine kurze Anekdote: Vor kurzem bin ich durch eine halbe Wohnung gelaufen, weil mir irgendein Geruch in die Nase gestiegen ist und ich ihn nicht lokalisieren konnte. Für die Umstehenden wahrscheinlich ein recht verwirrendes Bild. Schließlich habe ich dann festgestellt, dass es die Blumen in der Küche sind. Früher wäre mir so etwas nie aufgefallen.

Zugegeben, es hat auch seine Nachteile. In einer Stadt wie Frankfurt ist es mancherorts gar nicht so schlecht, weniger zu riechen. Ich bin da insgesamt bereits empfindlicher geworden. Beim Spaziergang fällt mir nicht nur das übermäßige Parfum von Passanten früher auf, sondern auch, wenn irgendwer mal wieder an einen Brückenpfeiler gep**** hat.

Öffnet euch der Welt der Gerüche und ihr werdet schnell merken, was uns alles umgibt. Ich ärgere mich fast, wieviel mir bisher entgangen ist.

Im Winetasting

Eine kurze Anmerkung noch zum Weinverkosten: Leider ist das mit dem Riechen so eine Sache. Jeder Mensch riecht anders. Was für mich nach Grapefruit duftet, ist für einen anderen vielleicht eher Limette. Hier gibt es keine Allgemeingültigkeit. Ihr solltet also vermeiden, diese für euch in Anspruch zu nehmen. Wenn jemand beim nächsten Weintasting den Duft als zitronig beschreibt und ihr eher bei Minze liegt, belehrt ihn nicht. Jeder hat hier seinen eigenen Eindruck und darüber können wir sicher diskutieren, aber fahrt niemandem über den Mund. Aromenraten ist wirklich ein wunderbares Spiel und es gibt eigentlich keine Verlierer. Apropos Weintasting: Um eure Mitstreiter nicht übermäßig zu strapazieren, solltet ihr bei einer ernsthaften Weinverkostung auf (übermäßig) Parfum verzichten. Ihr selbst werdet euren Lieblingsduft zwar nicht mehr wahrnehmen, euer Nebensitzer fühlt sich aber ggfs. wie in einer Douglasfiliale.

Bei all dem Riechen sollten wir das Trinken nicht vergessen:

Weingut Aldinger (Württemberg) – Cabernet Sauvignon Reserve – 2017

Cabernet Sauvignon aus dem württembergischen Fellbach klingt erstmal nach einer geschmacklichen Herausforderung. Instinktiv verortet man diese Rebsorte zunächst im Bordeaux oder Kalifornien. Tatsächlich lässt aber auch dieser heimische Vertreter mein Gaumensegel jubilieren. Das Weingut setzt hier auf eine späte Lese und 18 Monate Aufenthalt im Barrique mit 50 % Erstbelegung. Wahrscheinlich haben wir den Wein wieder viel zu jung getrunken, aber sei’s drum. In der Nase schöne Anklänge von reifem Cassis unterlegt mit würziger grüner Paprika. Irgendwie kommt mir hier auch Schokolade in den Sinn. Am Gaumen lässt der Wein seine Muskeln spielen. Nicht unangenehm, aber mit straffen Tanninen nimmt er sofort den Mund ein. Dunkle Beeren und herbe Aromen dominieren den Geschmack. Mich erinnert es an Tabak und Vanille. Durch die feingliedrige Säure behält der Wein aber seine Eleganz und wirkt nicht zu wuchtig oder platt. Ich wäre bei einem Blindtasting sicher nie auf die Idee gekommen, diesen Wein in meiner schwäbischen Heimat zu suchen. Wieder was gelernt!

4 Kommentare zu „Immer der Nase nach…von Sinn und Sinnlosigkeit

  1. Oh, bitte nicht die Aromabar! Ganz furchtbar, weil ganz künstlich. Wenn schon Aromen aus der Retorte, dann bitte von Le Nez du Vin. Noch teurer, dafür aber exorbitant besser. Ich stimme dir aber aus vollstem Herzen zu: lieber an natürlichen Dingen schnüffeln. Ich bin neulich mit meinem Rotweinglas zum Gewürzregal gerannt, weil ich ein Aroma ums Verrecken nicht einordnen konnte. Ich dachte, es wäre Wacholder. Fail! Hat sich rausgestellt, dass es Piment war. 😉 Habe übrigens vergangene Woche von einem unterrichtenden Vollblutprofi gelernt, dass man sein Glas nicht ständig schwenken soll. Dadurch öffnet sich ein Wein nur bedingt schneller. Klar kitzelst du so die Primäraromen raus. Aber Sekundär- und Teritäraromen müssen leider ggf. von selbst kommen, wenn sich der Wein komplett öffnet. Und das macht er leider nur auf freiwilliger Basis, wenn er da Bock drauf hat. 😉

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