Besserwisserei Teil I – Trinken für Fortgeschrittene

Weinbereitung ist ohne Frage eine Wissenschaft. Gilt das aber auch für das Weintrinken? In dieser Rubrik möchte ich ein paar Grundlagen vermitteln, aber alles mit einem Augenzwinkern.

Jeder von uns sollte faktisch in der Lage sein, das Glas zum Mund zu führen, die darin befindliche Flüssigkeit in seinen Mund fließen zu lassen und zu schlucken. Soweit erstmal nichts Neues, was ist beim Wein anders?

Wir trinken heute mal nicht, wir verkosten! Wir beschäftigen uns also intensiver mit dem Wein und stürzen ihn nicht nur herunter. Hier liegt für mich tatsächlich der wichtigste Unterschied. Wer Wein in all seinen Facetten erleben will, sollte ein paar Kleinigkeiten berücksichtigen.

Wein ist ein äußerst komplexes Getränk. Es kann nach Vielem schmecken, nur selten nach Trauben. Tausende Aromastoffe finden sich darin wieder. Abertausende Kombinationen sind möglich.

Wie verkoste ich Wein also richtig? Muss ich dabei affektiert schlürfen und ein ernstes Gesicht machen? Muss ich spucken? Darf ich dabei Spaß haben?

Beim Verkosten versuchen wir alle Sinne einzubeziehen. Wir fangen daher mal mit den Augen an.

Der erste Eindruck zählt!

Diese Binsenweisheit hat auch beim Wein irgendwie seine Berechtigung, allerdings eben nur irgendwie.

Die Farbe des Weins vermittelt uns einen ersten Eindruck und sagt schon so manches über den Wein aus. Bei Weißwein reicht die Palette von fast durchsichtig bis Altgold, bei Rotwein von einem leichten Granatrot bis hin zu einem fast undurchdringlichen Schwarzrot. Dazwischen finden sich unzählige Schattierungen. Will ich die Farbe (!) des Weins erkennen, bringt mir das kunstvolle ins Lichthalten des Glases leider nur wenig. Bei professionellen Weinproben finden sich entweder weiße Tischdecken oder weiße Blätter auf dem Tisch. Das Glas wird leicht geneigt, damit der Wein eine möglichst breite Oberfläche bekommt. Vor dem weißen Hintergrund lässt sich nun die Farbe gut bestimmen und sogar Verläufe erkennen. Rotweine tendieren dazu, mit zunehmender Reife heller zu werden und einen bräunlichen Rand zu entwickeln. Dahingegen werden Weißweine im Alter eher dunkler und farbintensiver.

Die Qualität eines Weines lässt sich dadurch aber nicht erkennen. Die Farbe des Weins unterscheidet sich je nach Rebsorte und Ausbauform. Noch immer herrscht bei so manchem „Laien“ die Meinung vor, ein Rotwein müsse dunkel und kräftig gefärbt sein. Tatsächlich ist diese Ansicht eher Bullshit. Nebbiolo und Spätburgunder (Pinot Noir) ergeben grundsätzlich eher helle Weine, trotzdem handelt es sich um zwei der edelsten Rebsorten überhaupt. Bei einem farbintensiven Spätburgunder liegt es sogar nahe, dass der Winzer mit Dorn- oder Dunkelfelder nachgeholfen hat.

Wer sein Glas dennoch gegen das Licht halten mag, kann das gerne machen. Hinsichtlich der Farbe wird er zwar nicht wirklich viel sehen, aber er wird erkennen, ob der Wein klar ist oder Trüb- bzw. Schwebstoffe enthält. Gerade bei Naturweinen lohnt sich dieser Blick! Nicht zu vergessen, die berühmten Tränen oder Kirchenfenster nach dem Schwenken. Im Gegenlicht lassen sich die besonders gut erkennen. Eigentlich nichts anderes, als ein Euphemismus für Schlieren. Die Form und Dichte der Kirchenfenster sind aber kein Zeichen für eine besonders gute Qualität des Weins, sondern höchstens für dessen Viskosität. Für die Schlierenbildung sind insbesondere Alkohol (genauer: Glyzerin) und Zucker verantwortlich. Bei Glyzerin handelt es sich um einen höherwertigen Alkohol (sog. Zuckeralkohol), der Auswirkung auf die Fließgeschwindigkeit und Verdunstung des Weines hat. Der Rest ist Chemie und würde hier den Rahmen endgültig sprengen.[1]

Auf geht’s zum nächsten Sinn: Das Riechen!

Wer trinken will, muss schwenken können. Kein Scherz! Durch das sanfte Schwenken des Weins rinnt dieser in einem dünnen Film über die Glasoberfläche hinab. Dabei wirbeln sich bereits gelöste Duftstoffe auf. Außerdem kommt der Wein dadurch intensiver mit Sauerstoff in Kontakt und er kann sich weiter öffnen.

Denkt beim Schwenken aber an die weiße Tischdecke und seid behutsam. Ihr solltet es beim Einschenken nicht übertreiben, sonst könnt ihr den Wein direkt auf den Tisch kippen. Am besten lasst ihr das Glas zunächst auf dem Tisch kreisen; fällt weniger auf und ihr habt eine Art Stütze. Außerdem könnt ihr das Glas so heimlich bewegen und es wirkt nicht direkt affektiert. Keiner mag Angeber!

Darf ich jetzt endlich trinken?

Natürlich nicht! Sind ja nicht zum Saufen hier. Erstmal sollten wir nach dem Schwenken ins Glas riechen. Den größten Teil der Aromen nehmen wir über unsere Nase auf. Jeder kennt das Phänomen: Ist man erkältet und die Nase zu, schmeckt alles irgendwie gleich. Die Kombination aus Schwenken und Riechen ist leicht zu überprüfen. Schenkt euch Wein ein. Lasst ihn ein wenig stehen. Riecht hinein und merkt euch den Eindruck. Danach schwenkt ihr ihn und riecht erneut. Der Unterschied sollte eklatant sein. Solltet ihr gar nichts riechen, könnte das natürlich aktuell auch an Corona liegen, dann bleibt ihr vielleicht besser ein paar Wochen zu Hause und kontrolliert regelmäßig eure Rekonvaleszenz mit etwas Wein.

Das bedeutet aber nicht, dass ihr euren Zinken bis zum Glasboden reinstecken sollt. Dezent und unauffällig ist auch hier das Credo. Tatsächlich riecht man aber am oberen Rand des Glases (ihr haltet das Glas natürlich schräg) eher den Alkohol und Phenole/Gerbstoffe. Im unteren Teil kommen dann die Aromen. Trotzdem: Benehmt euch! Sonst wird’s schnell peinlich.

Trinken wir jetzt endlich?

Ja! Jetzt wird getrunken. Und wenn ich trinken sage, meine ich trinken und nicht nippen. Es sollte schon ein ordentlicher Schluck sein. Behaltet ihn kurz im Mund. Bitte nicht gurgeln! Lasst den Wein durch den Mund fließen. Wenn ihr es schafft, saugt ein klein wenig Luft mit ein. Nochmal: Nicht Gurgeln! In Sachen Sauerstoff ist der Mensch dem Wein recht ähnlich, ohne geht es einfach nicht. Durch das Einsaugen von etwas Luft gebt ihr dem Wein die Chance, sich vollständig zu entfalten. Übt es aber erst einmal in kleiner Runde, manchmal wirkt es eher unfreiwillig komisch. Da spreche ich aus eigener Erfahrung.

Selbst beim Trinken spielt unser Geruch eine wichtige Rolle. Stichwort: Retronasales Riechen. Die Aromen des Weins gelangen über den Rachen zurück in unsere Nase, hier nehmen wir dann die Fülle an Aromen wahr.

Im Mund ist unser Geschmacksempfinden leider recht beschränkt. Süß, sauer, salzig, bitter und Umami (würzig/fleischig) – mehr bekommen wir nicht hin. Das ist evolutionär bedingt. Unseren Vorfahren waren Aromen relativ wumpe. Unsere Zunge ist darauf gedrillt, Giftstoffe zu identifizieren und nicht auf kulinarische Höhenflüge, schade!

Die Zungenlüge!

Direkt vorab: Die abgebildete „Karte“ ist leider vollkommener Unsinn! Teilweise wurde sie etwas revidiert, richtiger wird sie dadurch aber nicht. Der Mythos hält sich hartnäckig; sogar in seriösen (Lehr)Büchern. Tatsächlich verfügen wir über unterschiedliche Geschmacksrezeptoren (Papillen), die auf die einzelnen Geschmacksreize unterschiedlich intensiv reagieren. Die Rezeptoren konzentrieren sich an verschiedenen Stellen der Zunge, weshalb es durchaus Geschmacksareale gibt, wir aber grundsätzlich alles überall schmecken können.

Ihr könnt natürlich auch die Probe aufs Exempel machen. Dippt eure Zungenspitze in Essig. Den Geschmack erkennt ihr sofort, obwohl ihr eigentlich nur salziges und etwas süß erkennen dürftet. Komisch, nicht?!

Der Mythos ist alt und geht auf eine Arbeit des deutschen Physiologen David Hänig aus dem Jahr 1901 zurück. In seiner Abhandlung „Psychophysik des Geschmackssinns“ stellte er fest, dass in gewissen Arealen der Zunge einzelne Geschmäcker stärker wahrnehmbar sind. Damit lag er absolut richtig. Jahrzehnte später interpretierte der US-amerikanische Experimentalpsychologe Edwin Boring das Ganze leider falsch. Bis heute glauben manche an diesen Unsinn.

Mit der Zunge tasten wir aber den Wein auch ab. Erkennen die Textur, also ob der Wein besonders zähflüssig oder tanninreich ist. Gerbstoffe hinterlassen ein „pelziges“ Gefühl auf der Zunge, den Effekt „spüren“ wir also.

Zurück zum Trinken!

Zum Thema „Schlucken oder Spucken?“ wird es noch einen eigenen Beitrag geben, die Doppeldeutigkeit ist einfach zu schön. Daher nur in aller Kürze: Im Grund könnt ihr es hier halten wie der Dachdecker: es ist eure Sache.

Entgegen einer landläufigen Meinung, befinden sich auch auf dem Gaumen einige Sinneszellen. Ich finde die Textur des Weins kommt hier besonders zum Tragen und vollendet das Bild.

Befindet ihr euch aber auf einem professionellen Tasting, werden Spuckbehälter auf dem Tisch stehen. Bei fünf oder mehr Weinen ist es sinnvoll, nicht oder nicht alles zu schlucken. Sonst seid ihr blau, bevor es richtig losgeht. Alkohol ist ein Geschmacksträger, wirkt aber auch betäubend. Auf einem privaten Weinabend solltet ihr vielleicht nicht unbedingt in die Blumenvase spucken. Also ihr könnt schon, aber dann war das wahrscheinlich die letzte Einladung.

Was kommt jetzt?

Übung macht den Meister. Also üben wir! Wir haben geschwenkt, gerochen, getrunken und geschluckt. Weinbeschreibung machen wir wann anders. Nach diesen langatmigen Ausführungen wird es dringend Zeit für einen Wein. Ich bin dann jetzt auch froh, den Wein neben mir genießen zu können:

Weingut Wittmann (Rheinhessen) – Weißburgunder „Limestone“ – 2019

Optisch präsentiert sich der Weißburgunder in einem leuchtenden Gelb. In der Nase ordentlich gelbe Frucht mit merklichen floralen Anklängen. Der Wein wurde im großen Holzfass ausgebaut und durfte etwas Zeit auf der Hefe verbringen. Schon im Duft zeigt das seine Wirkung, am Gaumen gesellt sich dann ein toller Schmelz zu der Frucht. Mir kommen dabei Aprikose und Apfel in den Sinn. Irgendwo versecken sich auch hier ein paar Kräuter oder Blumen. Dank der frischen Säure bleibt alles in Bewegung und wirkt keinesfalls übertrieben oder fett. Als Abschluss folgt ein langer und harmonischer Abgang.

Selbst im tiefsten Winter macht der Wein noch eine Menge Spaß und ich kann ihn mir wunderbar als Essensbegleiter vorstellen.


[1] Wikipedia: Kirchenfenster (Wein). Hier wird für alle Hobbychemiker der sog. Marangoni-Effekt ausführlich beschrieben.

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