Weinflaschen sind eine Art Heiligtum: Trophäen und Statussymbol. Versinnbildlichung des Genusses und sogar Kunstobjekte. Bereits seit 1945 gestalten unterschiedliche namhafte Künstler die Etiketten des weltbekannten Château Mouton Rothschild. Aber selbst wer keine Flasche des edlen Premier Grand Cru sein Eigen nennt, nutzt Weinflaschen gerne als Dekoelement oder zumindest als Kerzenständer. Hat das alles bald ein Ende? Glaubt man der aktuellen Berichterstattung, können wir uns bereits jetzt von unseren geliebten Weinflaschen verabschieden.
In den letzten Wochen überschlugen sich die Meldungen: Die EU plane Warnhinweise und Schockbilder auf Weinflaschen. Sogar tagesschau.de sah sich berufen, einen kurzen Beitrag über die „Warnung vor dem Chianti“ zu veröffentlichen.[1] Vor dem inneren Auge des geneigten Connaisseur tauchen bereits bis zur Unkenntlichkeit verschandelte Weinflaschen auf. Er sieht ein Kulturgut bedroht und legt bereits Fackel und Mistgabel bereit.
Hat die EU den Bogen endgültig überspannt? Verlassen Weinnationen wie Italien, Frankreich und Spanien jetzt geschlossen die Union? Kommt es zu einem zweiten Winzeraufstand an der Mosel?
Jetzt aber mal der Reihe nach: Die EU hat sich mit ihrem „Europe’s Beating Cancer Plan“ das Ziel gesetzt, den Krebs zu bekämpfen. Soweit erstmal ein vernünftiges Ziel. Dazu stellte die EU-Kommission am 03.02.2021 ihre neusten Pläne vor.[2] In einer – sagen wir mal – etwas misslungenen Pressekonferenz ging es dann aber sehr schnell um ganz andere Themen, nämlich um Wein.
Ich als Weinliebhaber kann das grundsätzlich erstmal ganz gut verstehen. Ich unterhalte mich auch lieber über Wein als über Krebs.
Ziel der EU ist es aber demnach, den Alkoholkonsum innerhalb der EU bis 2025 um mindestens 10% zu senken. Dazu werden unterschiedliche Maßnahmen diskutiert und geprüft. Wie üblich sind Steuererhöhungen und Werbebeschränkungen im Gespräch.
So ein Mist, dabei mochte ich die Kinowerbung von Egon Müller Scharzhofberg so gerne.
Neben diesen Maßnahmen schlägt die Kommission vor, alkoholische Getränke in Zukunft mit einer Nährwerttabelle und Zutatenlisten zu versehen.
Ich bin jetzt schon gespannt, was dort wohl alles angegeben wird.
Ebenso wird vorgeschlagen, verpflichtende Warnhinweise auf Alkoholflaschen einzuführen.
Zeter und Mordio! Treibt die Sau durch Brüssel und zündet die Fackeln an!
Während die Sau so durch Brüssel rennt, bekomme ich ein Déjà-vu. Schon in der Vergangenheit wurden solche Warnhinweise diskutiert. Mit einer bemerkenswerten Regelmäßigkeit taucht dieses Thema auf und wieder unter.
Keine Ahnung, ob sie diesmal wirklich kommen werden. Meine Glaskugel bleibt an dieser Stelle trüb.
Zugegeben: Ich bin kein Freund von regulatorischen Übergriffen, aber ich verstehe auch die bitterliche Lage der EU. Der Missbrauch von Alkohol richtet erheblichen gesundheitlichen und gesellschaftlichen Schaden an. Gleichzeitig spielt Alkohol in Europa eine kulturelle Rolle und ist in vielen Gesellschaften fest verankert. Selbst beim Abendmahl gönnt sich die Gemeinde ein Schlückchen. Die Frage ist daher nicht, ob die EU-Kommission den Kampf gegen Krebs und Alkoholmissbrauch vorantreiben sollte, sondern eher ob dies mit einer weiteren Entmündigung der Bürger einhergehen muss. Gesundheitsschädliche Folgen von Alkohol sind jetzt kein Staatsgeheimnis und ein mündiger Bürger sollte sich über die Konsequenzen im Klaren sein. Schließlich isst auch keiner ein Maxi-Menü bei McDonalds und glaubt damit etwas für seine Gesundheit zu tun. Ein eigenverantwortlicher Umgang mit Risiken gehört irgendwie auch zum Leben dazu und ich bin der Meinung, der Staat muss nicht überall eingreifen. Irgendwann kommen wir sonst an den Punkt, an dem wir vor lauter Warnhinweisen den Wald nicht mehr sehen und diese auch an Bedeutung verlieren. Wenn wir durchgehend von roten Warnleuchten umgeben sind, gewöhnen wir uns irgendwann daran und ignorieren sie.
Eine Ausbilderin von mir brachte es ganz gut auf den Punkt: „Der Verbraucher ist ja nicht cerebralentkernt und muss auch mal selber denken“.
Vielleicht ist es meine irrationale Bindung an Wein und vielleicht bin ich hier nicht ganz objektiv, aber ich bin einfach dagegen. Gesundheitliche Aufklärung von mir aus, aber sonst liebe EU: Finger weg vom Alkohol! Bevor das Ganze jetzt eskaliert, mache ich mir erstmal ein Fläschchen auf:
Weingut Kühling-Gillot (Rheinhessen) – Riesling Qvinterra – 2018
Trauben von fünf unterschiedlichen Böden von Bodenheim bis Nierstein finden sich in diesem Wein. Entstanden ist ein mustergültiger Riesling: Hellgolden windet sich der Wein im Glas und macht mit seiner feinfruchtigen Nase direkt Lust auf den ersten Schluck. Zitrusnoten, Grapefruit und vielleicht etwas Ananas strömen mir entgegen. Interessant finde ich aber vor allem die mineralischen Töne nach frisch angeschlagenen Feuerstein. Am Gaumen ist der Wein sofort da. Die spritzige Säure bringt den Wein zum Vibrieren und unterstreicht die angenehme Frische. Trotzdem bleibt der Gesamteindruck eher weich und schmelzig. Im Geschmack vollreife Birne, würzige Töne und rauchige Anklänge. Wirklich spannend und eine Referenz für Rheinhessen. Nach dem langen mineralischen Abgang bleibe ich mit einem Grinsen zurück.
PS: Aber mal allen Spaß beiseite. Warnhinweise auf Weinflaschen mögen die Ästhetik stören, werden mich aber nicht am Genuss hindern. Steuererhöhungen und Werbebeschränkungen werden aber gerade kleine Winzer und Regionen hart treffen. Diese Maßnahmen stellen für mich eine ernstzunehmende Gefahr für die Vielfalt des europäischen Weins darf und hier sollte mit Bedacht reguliert werden.
[1] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/eu-lebensmittelkennzeichnung-mediterranes-essen-101.html (zuletzt abgerufen am 21.02.2021)
[2] https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/non_communicable_diseases/docs/eu_cancer-plan_en.pdf#page10 (zuletzt abgerufen am 21.02.2021)