Kisten packen für das Ahrtal…

Sonntags sollst du ruhen, heißt es in der Bibel. Dort gibt es aber auch sprechende Schlangen und geteilte Meere. Ich nehme es daher mal nicht zu wörtlich. Durch die Verkettung einiger unglücklicher Umstände, standen meine Pläne fürs Wochenende auf einmal Kopf. Als positive Nebenfolge dieses Kopfstandes hatte ich aber ausnahmsweise ein Auto zur Verfügung. Ich folgte also einer spontanen Eingebung und fuhr zum roten Hang nach Nierstein…

Die Bilanz der Flutkatastrophe ist verheerend. Experten schätzen den Gesamtschaden auf etwa 5 Milliarden Euro. Alleine die Winzer im Ahrtal haben einen Schaden von mindestens 50 Millionen zu verzeichnen. Über diese (nüchternen) Zahlen dürfen wir aber nicht die Schicksale der Menschen vergessen, fast 200 Menschen verloren ihr Leben und unzählige durchlebten unvorstellbare Gefahren.[1] Wahrscheinlich werden diese Wunden nie ganz heilen und dennoch stehen die Menschen in der Not zusammen:

Bereits kurz nach der Katastrophe machten sich Winzer daran, ihre Hilfe zu organisieren. Während einige direkt ins Krisengebiet gefahren sind, haben sich andere um die finanzielle Unterstützung der betroffenen Winzer gekümmert. In Rekordzeit (re)aktivierte der VDP seinen Hilfsverein „Der Adler hilft e.V.“ und fing an, Spenden zu sammeln[2]. Spontan setzten Winzer die ersten „Hilfspakete“ auf und verkauften ihren Wein für den guten Zweck.

Eine neue Dimension läutete dann aber Dirk Würtz vom Weingut St. Antony in Nierstein ein: Er nutzte seine Vernetzung in der Weinwelt und organisierte binnen kürzester Zeit eine beispiellose Hilfsaktion. Für 65 Euro sollten Kunden eine Überraschungskiste mit 6 Weinen bestellen können. Der gesamte Erlös kommt über den Hilfsverein des VDP den Winzern im Ahrtal zu Gute. Unter #solidAHRität ging das Ganze schnell viral. Winzer aus ganz Deutschland, Österreich und Südtirol spendeten Weine und schickten sie nach Rheinhessen. Wenn ich es richtig mitbekommen habe, sind sogar Weine aus Griechenland und Tschechien eingetroffen.

Nach nur drei Stunden waren die ersten 700 Pakete verkauft. Klingt nach einer ganzen Menge, war aber nur der Startschuss. In weniger als 48 Stunden erreichte die Verkaufsaktion die magische Grenze von 10.000 verkauften Paketen – das macht sage und schreibe 60.000 Flaschen Wein und einen Betrag von 650.000 Euro (!). Die Aktion pausiert derzeit, es wird aber ab dem 02.08.2021 weitergehen. Also wer noch nicht bestellt hat, sollte die Augen offenhalten!

Was zunächst einfach phantastisch klingt, erfordert in der Praxis aber eine gewaltige logistische Leistung. Die gespendeten Weine müssen gelagert, sortiert und verpackt werden. Kein Weingut kann das einfach mal so nebenbei stemmen. Vor allem reicht es nicht, einfach sechs Flaschen in eine Kiste zu packen – es soll ja schließlich gerecht zugehen. An dieser Stelle darf man nicht vergessen, dass gerade eigentlich eine sehr arbeitsintensive Zeit für die Winzer ist. Das Team von St. Antony stemmt diese Aufgabe also zusätzlich zu ihrer täglichen Arbeit.

Über die Sozialen Medien rief das Weingut also zur Unterstützung bei diesem Kraftakt auf. Und die Menschen folgen diesem Aufruf. Aus der ganzen Region kommen freiwillige Helfer nach Nierstein, um Kisten zu kleben, Weine zu schleppen und schließlich zu verpacken.

Irgendwie wollte ich auch meinen kleinen Beitrag dazu leisten, so machte ich mich also auf an den Rhein. Bei meinem Eintreffen herrschte auf dem Hof bereits ein reges Treiben. Es war einfach unglaublich, was sich dort abspielte. An diesem Sonntagmorgen waren locker 50 Menschen damit beschäftig, die Kisten zu verpacken. Auf den ersten Blick wirkte es wie ein planloser Haufen. Schnell merkte ich aber, unter der Leitung von Dirk Würtz und Achim von Oetinger (zwei echte Originale der Weinszene) lief das Ganze wie am Schnürchen. Kaum hatte ich mich (an)gemeldet, ging es auch schon für mich los.

Trotz des konzentrierten Arbeitens war die Stimmung wirklich super. Egal ob leere Kartonagen beseitigt, Kisten sortiert oder Postwägen gerollt werden mussten – keiner war sich für irgendwas zu schade. Jeder packte mit an und hatte ein Lächeln im Gesicht. Und immer, wenn neue Erfolgsmeldungen von den Packtischen verkündet wurden, brandete Jubel durch die Truppe.

Zum Mittag brutzelte der Chef himself Burger und Würstchen. Neben reichlich Wasser gab es auch Sekt aus dem Hause St. Antony und Bamberger. Ich kann euch sagen, selten haben mir Bubbles so gut geschmeckt. Während der Pause wurde nett geplauscht und ich traf so manches bekannte Gesicht aus der Szene. Ein Helfer spendete ganz nebenbei 10.000 Postlieferungen…mir fiel da mal kurz das Kinn auf den Boden. Eine andere Helferin kam mit leckeren Kuchen vorbei und erfreute so unser Herz.

In einem etwas ruhigeren Moment wendete sich auch Dirk Würtz nochmal an die Helfer. Er bedankte sich für die Unterstützung und erinnerte zugleich an die Auswirkungen der Katastrophe. Nur zwei der etwa 70 Weinbaubetriebe der Ahr sind nicht von den Zerstörungen betroffen. Einige Weingüter sind komplett zerstört – vom Weingut Baltes existiert zum Beispiel nur noch die Bodenplatte. Ziel sei es insgesamt einen Betrag von 1,5 Millionen Euro zu sammeln und doch seien das am Ende vielleicht zwei Einfamilienhäuser. Hier wurde uns die Dimension des Hochwassers nochmal bewusst.

Motiviert und gestärkt ging es dann aber auch schon weiter. Ich durfte mich im Keller des Weinguts beweisen und leere Kartons durch die Gegend fahren. Leichter gesagt als getan… In meiner vollkommenen Ahnungslosigkeit zog ich die Postwägen falschherum durch den Flaschenkeller. Dadurch waren die Teile ziemlich störrisch und ließen sich kaum lenken, mehr als einmal räumte ich beinah eine Palette Wein damit ab. Irgendwann kapierte ich es dann aber und die Arbeit ging mir deutlich leichter von der Hand. Meine Lernkurve war jetzt nicht wirklich steil, aber immerhin war es eine Kurve. Außerdem kann ich verkünden, es kam keine Flasche Wein zu schaden.

Leider musste ich dann am späten Nachmittag schon wieder aufbrechen. Gerne hätte ich mehr als nur ein paar Stunden mitgeholfen. Was bleibt ist eine wirklich einzigartige Erfahrung und tiefster Respekt vor den Helfern und Organisatoren. Was dort auf die Beine gestellt wurde ist wirklich beeindruckend. Chapeau!

Statt mit einer Verkostungsnotiz, möchte ich diesen Text noch einmal mit einem Aufruf schließen:

Liebe Leser,

öffnet eure Geldbörsen und spendet! Egal ob an den VDP, das Deutsche Rote Kreuz oder wohin auch immer. Die Menschen in den betroffenen Gebieten stehen vor den Trümmern ihrer Existenz und jeder Cent zählt. Wenn ihr für eure Spende noch ein paar tolle Weine bekommen wollt, behaltet die Aktion von Dirk Würtz im Blick…es wird bestimmt bald wieder Pakete (voraussichtlich ab dem 02.08.2021) geben. Wer aus dem Rhein-Main-Gebiet kommt, kann jederzeit bei St. Antony vorbeischauen. Nicht lange fackeln, einfach hinfahren und mithelfen – ihr werdet es nicht bereuen. In der Zeit vom 05. bis 07.08.2021 werden die Kisten in Bodenheim gepackt, nähere Infos dazu gerne über das Weingut direkt oder über mich.

PS: Ich hoffe jedem Leser wird klar, dass es mir hier nicht um eine Selbstbeweihräucherung geht. Mein Beitrag beschränkt sich auf wenige Stunden, die Verantwortlichen stemmen hingegen eine echte Mammutaufgabe.


[1] Die unvorstellbare Brutalität der Situation wird einem durch die Erzählung des Fotografen David Weimann vor Augen geführt. Ihr braucht dazu allerdings einen Instagram Account.

[2] Die gesammelten Spenden kommen allen Winzern im Ahrtal zu Gute, unabhängig davon, ob sie Mitglied im VDP sind oder nicht.

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