Inzwischen ist es fast genau ein Jahr her, dass ich mal wieder alle Grundsätze über Bord geworfen habe und mir einen Instagram Account zulegte. Nach 365 Tagen will ich eine erste Bilanz ziehen: Der Algorithmus und ich sind ein Herz und eine Seele!
Eigentlich habe ich mich immer dagegen gewehrt, auf Instagram abzuhängen. Und dann kam Corona. Getrieben von Langeweile, kam ich doch irgendwann auf die glorreiche Idee, mir einen Account anzulegen. Bereits die Namensfindung verlief angemessen holprig. Im Detail möchte ich gar nicht darauf eingehen, so tief kann ich nämlich gar nicht im Boden versinken.
So aber genug des Vorgeplänkels!
Tatsächlich ist es mir trotz einiger Peinlichkeiten gelungen, recht schnell ein paar Follower zu genieren. Inzwischen lasse ich das ganze zwar etwas ruhen, ich bleibe aber neugierig und ein aufmerksamer Beobachter. Im Stile eines Naturforschers gelingt es mir, Influencer in ihrem natürlichen Habitat zu beobachten und von ihnen zu lernen. Hier die fünf wichtigsten Tipps um erfolgreicher Winefluencer zu werden:
1. Weinbeschreibungen:
Ohne Weinbeschreibungen bist du kein „Weinblogger“. Hier gibt es nur wenige Möglichkeiten: Entweder du postest absolute „Geheimtipps“ von kleinen Familienweingütern oder die wirklich dicken Dinger. Für was du dich entscheidest, ist ganz dir überlassen. Du brauchst hier auch wirklich auf keinen roten Faden achten. Bei den Geheimtipps ist es aber besonders wichtig, den Winzer immer mit Vornamen anzusprechen – vollkommen egal, ob ihr euch persönlich kennt. Ziehst du das auch bei den dicken Dingern durch, bist du wirklich ganz schnell ganz oben angekommen. Zur geistigen Elite der „Weinblogger“ gehörst du natürlich erst dann, wenn du dich von allen Konventionen löst und nur noch über Naturweine schreibst. Ich empfehle dazu den obligatorischen Hipsterbart und ein kariertes Hemd – Frauen müssen eben improvisieren. Lass dich auch bitte nicht davon irritieren, dass das Zeug irgendwie alles gleich schmeckt. Es ist Hip und allein das zählt! Und bitte recherchiere nicht die Unterschiede und Vorteile, diese endlose Diskussion willst du nun wirklich nicht führen.
Jetzt heißt es aber aufpassen: Du musst jetzt auch abliefern! Eine wirklich gute Weinbeschreibung erinnert unwillkürlich an eine Schnulze von Rosamunde Pilcher. Folge deinem abgedroschenen Vorbild und sei ähnlich fesselnd und dabei noch ungemein weichgespült und nichtssagend. Im Zweifel musst du den Wein noch nicht einmal probiert haben. Mit ein wenig Hilfe von Google findest du schon die passende Beschreibung. Dann einfach ein bisschen umfrisieren (kennen wir doch noch vom Hausaufgaben abschreiben) und los geht’s. Geistiges Eigentum und Urheberrechte sind ohnehin nur kleinbürgerliche Kategorien mit denen du schnell entfliehen solltest – solche Menschen trinken auch konventionellen Wein! Igitt!
2. Sprache
Lyrische Weinbeschreibungen sind out. Als „Weinblogger“ musst du nah an der Jugend sein. Also schlag das Jugendwörterbuch auf und hau in die Tasten. Ergieß dich nicht in elegischem Geschwirbel – der Wein ist fresh, drinky oder er ballert. Die Aneinanderreihung solcher Adjektive kann vollkommen beliebig erfolgen, so genau wird dir eh keiner folgen. Im Zweifel drop einfach noch ein paar random fruits und gut is.
3. Tutorials
Wichtig sind Tutorials. Ohne Wissensprostitution zu Weinlagerung, Weingläsern und dem richtigen Korkenzieher brauchst du gar nicht erst antreten. Im Idealfall drehst du ein paar einfallslose Videos dazu. Saubere Aussprache und Artikulationsfähigkeit sind dabei rein optional und werden gerne überbewertet. Inhaltlich kannst du dich an den zahllosen Tutorials vor dir orientieren. Erfinde einfach das Rad nochmal neu und du wirst schnell ordentlich Traffic sammeln. Gut möglich, dass kein Weinneuling je dieses Tutorial sehen wird, aber das Lob der anderen Tutoristen wird dir sicher sein.
4. Kostmuster
Wenn dir irgendjemand Wein für Umme schicken möchte, nimmst du natürlich an. Hier gibt’s nun wirklich keine Diskussion! Am besten schreibst du das direkt in dein Profil rein, dann wissen die Leute gleich, woran sie sind. Vollkommen egal, wie das Zeug schmeckt, du wirst es positiv besprechen und hart abfeiern. Moralisch gesehen bist du ein Weinsöldner und stellst keine blöden Fragen. Du findest auch den Dornfelder lieblich ziemlich drinky und einen genialen Einsteigerwein. Schickt dir jemand Naturweine, spielt der Geschmack eh keine Rolle mehr, du feierst einfach alles davon. Schließlich bist du kein verklemmter Spießer, sondern jung, hipp und total open minded! Offenlegungen sind natürlich reine Geschmackssache, vollkommen egal was die anderen (oder der Bundesgerichtshof) dazu sagen. Wenn du gerade mal Bock hast, markiere deinen Post als Werbung, ansonsten lass es einfach. Schließlich bist du so authentisch, dir glauben deine Follower ohnehin alles. Im Idealfall organisierst du dir noch einen Rabattcode für irgendeinen beliebigen Weinshop; selbst wenn du da nie einkaufen würdest.
5. Andere Follower
Hier ist es wie mit so vielen Zwangssymbiosen. Irgendwie kannst du keinen davon wirklich leiden, aber du brauchst sie eben. Der Arztberuf wäre auch viel einfacher, ohne diese Patienten. Sehen wir die anderen Follower einfach als notwendiges Übel. Deren „Content“ muss dich nicht wirklich interessieren. Im Ergebnis produzieren sie eh das Gleiche wie du. Du solltest aber fleißig liken, kommentieren und Stories pushen. Sonst wirst du ganz schnell geschasst. Kein Scherz, passiert regelmäßig und stützt meine These. Manche „Blogger“ sind sogar so ehrlich und sagen einem das ins „Gesicht“. Musst du die Texte der anderen wirklich lesen oder dich mit ihrer Meinung auseinandersetzen? Keineswegs! Ein „Toller Wein“ oder „Wow! Mega!“ reicht als Reaktion vollkommen aus. Vergiss nicht, deinen Kollegen zu absoluten Belanglosigkeiten zu gratulieren, etwa wenn sie ihre Weine für das Weihnachtsmenü vorstellen. Worin hier die Meisterleistung besteht, musst du nicht verstehen, aber ein „Daumenhoch“ muss schon drin sein. Ist ja schließlich total bewegend, wenn ein dir völlig unbekannter Mensch den von dir gekauften Wein toll findet!
Unbequeme Kommentare unter deinen Beiträgen kannst du getrost löschen. Vergiss aber nicht, den User auch zu blockieren, sonst schreibt er dich am Ende noch an und du musst dich wirklich mit ihm auseinandersetzen. Sowas will ja wirklich keiner!
6. Reichweite
Reichweite, Reichweite, Reichweite! Reichweite ist deine Währung, Religion und Nahrung. Nur wer genug Reichweite hat, wird auf Instagram überhaupt wahrgenommen. Ihr könntet euch jetzt natürlich durch qualitativ hochwertige Beiträge hervortun oder einfach etwas tricksen. Such dir die passenden Follower aus und like alle ihre Bilder – und wenn ich alle schreibe, meine ich auch wirklich alle! Aber folgt ihnen auf keinen Fall, sonst nehmt ihr ihnen ja jeden Anreiz euch auch zu folgen. Wartet bis sie zu euch kommen und euren Account abonnieren. Einfach mal ausprobieren. Ist zwar zeitaufwändig, aber zum Glück müsst ihr euren Kopf dafür nicht anstrengen und der Algorithmus wird euch lieben.
Schätzungsweise mache ich mich mit diesem Beitrag eher unbeliebt. Also, falls überhaupt jemand diese unverschämt lange Aneinanderreihung von Buchstaben liest. Sollten meine Follower-Zahlen jetzt stark abfallen, bin ich eines Besseren belehrt und weiß wenigstens, dass irgendwer mein Geschwirbel wahrnimmt.
In der Vergangenheit wurde ich nicht müde, mich über Instagram und Influencer auszulassen. Hat sich das geändert? Nein! Mich überkommt noch immer regelmäßig ein kaltes Schaudern. Für mich bleibt es eine Scheinwelt. Ich bin niemand, der mit seiner Meinung hinter dem Berg hält. Selbst innerhalb der „Weincommunity“ musste ich einige bittere Erfahrungen machen. Meine nicht ganz so ernstgemeinten Tipps zeugen von diesen spannenden Begegnungen. Trotzdem macht es mir irgendwie Spaß und wer jetzt meinen Account durchforstet, wird wahrscheinlich auch unzählige Fettnäpfchen finden.
Meinen Account betreibe ich aus Lust an der Freude und ich freue mich natürlich über jeden Kontakt. Ich will allerdings kein (Wine)Influencer sein, schließlich habe ich bereits einen Job. Inkonsequent wie ich bin, werde ich meinen Account auch weiterhin betreiben, als Experiment sozusagen.
Um meinen Blutdruck zu senken gibt’s jetzt erstmal einen Wein und dazu die passende Rosamunde Pilcher Filmempfehlung – „Dem Himmel so nah“:
Weingut Saalwächter (Rheinhessen/Rheingau) – Chardonnay – 2019
Hui! Was für ein Genuss. Selbst mit ordentlich Luft merkt man, der will eigentlich noch ein bisschen liegen bleiben. Aber zum Glück ist der Wein kein totaler Morgenmuffel – er spricht schon jetzt fleißig mit uns.
Olfaktorisch dominiert das Holz. In einem schwarzen Glas könnte man ihn glatt für einen Rotwein halten. Irgendwie erinnert es mich an Tannennadeln und vielleicht ein wenig verbranntes Gummi. Der wirklich minimale Böckser lässt sich aber leicht weg schwenken. Dem Genuss tut es keinerlei Abbruch. In anderen Beschreibungen wird immer wieder von geröstetem Sesam und Butterpopcorn gesprochen. Umso länger ich darüber nachdenke, muss ich sagen, das passt richtig gut! Im Mund nimmt der Wein direkt alles ein. Biberspaß für Fortgeschrittene. Reife und etwas mürbe Fruchtaromen lassen sich blicken. Ziemlich saftig und mit ordentlich grip. Der Chardonnay verabschiedet sich mit einer laserschwertartigen Säure, die richtig Bock macht.
Gefühlt steht der Wein ewig und selbst am Tag danach meine ich, ihn noch zu schmecken. Krass, wie sehr er mich an einen Chardonnay aus dem Jura erinnert.
Aktuell ist der Wein wirklich noch sehr jung und vom Holz dominiert. Er lässt aber schon seine Komplexität und Struktur erkennen. Ich bin froh, dass wir ihn auch schon jung verkostet haben. In ein paar Jahren werden sich diese Fäden wahrscheinlich zu einem perfekten Bild verwoben haben. Jetzt ist es noch ein bisschen wildes Zeug, aber wahnsinnig drinky.
PS: Und obwohl ich wieder mehr zum Scherzen aufgelegt bin, es werden auch weiterhin Spenden für das Ahrtahl benötigt. Lasst uns die Menschen dort bitte nicht vergessen. Spendet weiter!