Schreibblockaden sind etwas Grausames. Noch grausamer wird es oft allerdings, wenn jemand versucht, penetrant gegen die Blockade anzuschreiben. Aber weil ich nur selten aus Fehlern lerne, herzlich willkommen zu meinem neuen Blogbeitrag!
Aus eigener Erfahrung kann ich euch sagen, Zahnpflege sollte niemals unterschätzt werden. Daher immer schön zweimal täglich die Beißerchen putzen. Doof ist es nur dann, wenn man schon kurz danach auf ein Weingut fährt. Gelinde gesagt, ist die Verkostung dann für den Allerwertesten. Jeder, der mal nach dem Zähneputzen ein Glas Orangensaft „genossen“ hat, wird wissen, was ich meine. Es schmeckt einfach nur bitter und widerwärtig. Grund dafür ist, dass die meisten Zahnpasten den Wirkstoff Natriumlaurylsulfat (engl. Sodium Lauryl Sulfate – SLS) enthalten. Dieser soll eigentlich nur dafür sorgen, dass es beim Putzen ordentlich schäumt. Dummerweise knockt dieser Wirkstoff Teile unserer Geschmacksnerven aus. Unsere Süß-Rezeptoren treten dann vorrübergehend in Streik und es werden bestimmte Fette aus der Zellwand gespült und alles was bleibt, ist bitter.
Soviel zur Theorie! Trotzdem saß ich in unserem letzten Urlaub kurz nach dem Zähneputzen im Auto auf dem Weg zu einem Weingut. Unterwegs fiel mir dann mein Fehler auf. Am Weingut angekommen, stopfte ich mir möglichst unauffällig ein paar Grisini-Stängel in den Mund, um die Wirkung abzumildern. Neben dem Umstand, dass es wohl unfassbar albern aussah und ich teilweise mit vollem Mund sprechen musste (während mir ein paar Krümel aufs Hemd fielen), half es leider nur sehr wenig. Die Weine wirkten allesamt total verzerrt. Nach einer Weile meinte ich so langsam auf der geschmacklichen Höhe zu sein, aber ich glaube, das war reines Wunschdenken.
Was bleibt mir also anderes übrig, als die Weine mit nach Hause zu nehmen? Ich nenne sie liebevoll meine Zahnpastaweine und freu mich schon sie ganz SLS-frei nachzuverkosten.
Apropos Urlaub. Derzeit sind ja Fernreisen nicht so angesagt. Deshalb ging es dieses Jahr mal wieder nur kurz hinter die Alpen. Nachdem wir den Gardasee schon abgeklappert hatten, sollte es diesmal nach Südtirol gehen. Irgendwie bin ich dann mit dem Zeigefinger auf der Karte zu weit südlich gerutscht und wir landeten am Lago di Levico im Trentino. Noch nie von gehört? Ich auch nicht. Tatsächlich gehört das Trentino zwar zur gleichen Autonomen Region wie Südtirol, hat aber insgesamt wenig damit zu tun. Irgendwo unterhalb von Bozen verläuft die Grenze zwischen Südtirol (Alto Adige) und dem Trentino. Dabei ist es nicht nur eine Verwaltungsgrenze, sondern auch ein sprachlich-kulturelle Grenze. Da sich kaum deutsche oder internationale Touristen hier her verirren, erlebt man allerdings eine wirklich sehr authentische Gegend. Die meisten Touris bleiben entweder in Südtirol hängen oder fahren weiter bis an den Gardasee – dessen nördlichster Zipfel sogar noch zum Trentino gehört.
In der Weinszene ist das Trentino aber derzeit stark im Kommen. Dort finden sich nämlich wahnsinnig tolle Weine und gerade die Schaumweine der Trento DOC sind schwer angesagt. Innerhalb dieser DOC ist die traditionelle Flaschengärung mit mindestens 15 Monaten Lagerzeit verpflichtend vorgeschrieben. In der Champagne sind es übrigens nur 12 Monate.[1]
Wir machten es uns also zum Vorsatz, möglichst viele Schaumweine zu probieren. So komme ich nun also – nach dieser eigentlich vollkommen entbehrlichen aber irgendwie doch notwendigen Vorrede – zu meinem eigentlichen zweiten Thema. Auf den Blubberwasserkarten der lokalen Gastro fanden sich auch Prosseci und andere Schaumweine. Natürlich immer mit der entsprechenden Angabe Dry, Brut etc. pp.
Obwohl diese Angaben der Zuckergradation eigentlich der Übersichtlichkeit dienen sollen, stiften sie regelmäßig Verwirrung. Während bei Stillweinen (also alles, was nicht blubbert) „trocken“ auch trocken bedeutet, ist es bei Schaumweinen etwas anders. Wer sich einen „trockenen“ Sekt einverleibt, könnte sich auch einfach eine Packung Würfelzucker in den Mund stopfen.
Bevor wir jetzt aber zu den Einzelnen Grenzwerten kommen, fragt man sich natürlich, woher der Zucker eigentlich stammt. Nehmen wir mal die traditionelle Flaschengärung; was anderes wollen wir ja auch gar nicht mehr trinken! Dort werden in einem ersten Schritt die Grundweine vergoren. Sprich, der Winzer produziert einen ganz ordinären Wein. In der Regel erntet er diese Trauben etwas früher, um weniger Zucker, aber mehr Säure zu erhalten. Diesen ordinären Grundwein nimmt er dann, sperrt ihn mit dem sog. Liqueur de tirage in eine Sektflasche und verschließt das Ganze mit einem Kronkorken. Die Tirage enthält (Rohr-)Zucker und Hefe, damit der trägegewordene Grundwein direkt nochmal das Gären beginnt. Dabei zersetzt die Hefe den Zucker und es entsteht Alkohol und Kohlensäure. Irgendwann hat die Hefe ihren Job dann erledigt, der Sekt ist durchgegoren und eigentlich könnte man jetzt loslegen. In aller Regel bekommt der Sekt jetzt noch etwas Zeit. Während die Champagne für jahrgangslose Schaumweine 12 Monate vorschreibt, bedarf es für einen deutschen Winzersekt nur 9 Monate „auf der Hefe“. Teilweise kann das aber auch mal deutlich länger sein, 100 Monate sind dabei keine Seltenheit. Am Ende der Prozedur beginnt dann das legendäre rütteln (franz. Remuage) und die Flasche wird langsam immer steiler gestellt, so dass sich die Hefe im Flaschenhals sammeln kann.
Wenn sich Hefe und Sekt dann lange genug miteinander vergnügt haben, kommt der große Tage: Es wird abgeheft (degorgiert). Vereinfacht gesprochen, die Hefe im Flaschenhals muss irgendwie aus dem Sekt heraus. Also friert man den Propf ein, löst den Kronkorken und die Mulumpe schießt aus der Flasche. Jetzt ist die Flasche aber natürlich nicht mehr ganz voll und das Eichamt und der Verbraucherschutz hätten sicher ein Problem damit, wenn das Zeug so in den Handel kommen würde. Deshalb kommt jetzt noch einmal eine sog. (Versand)Dosage in den Sekt. Im Französischen fast schon lyrisch als liqueur d’expédition bezeichnet. Dabei handelt es sich üblicherweise um Süßweine, Süßreserven oder einfach Zuckerlösungen. Den Zuckergehalt kann der Winzer dabei genau kontrollieren und so bestimmt sich, ob ein Sekt trocken oder brut ist. In der Champagne wird aus der Zusammensetzung der Dosage aber gerne mal ein Staatsgeheimnis gemacht.
Innerhalb der EU sind die folgenden Zuckergradationen üblich[2]:
- Brut natur / Zero Dosage (naturherb): Zuckergehalt unter 3 g/l und es darf kein extra Zucker zugegeben werden. Die Flasche wird also mit dem gleichen Sekt aufgefüllt.
- Extra Brut (extra herb): 0 – 6 g/l
- Brut (herb): <12 g/l (in der Champagne können es auch mal 15g sein)
- Extra Dry (extra trocken): >12 – 17 g/l
- Trocken (Sec): >17 – 32 g/l
- Halbtrocken (Demi Sec): >32 – 50 g/l
- Mild (Doux): >50 g/l
Dann wollen wir mal rechnen. Ein Zuckerwürfel hat ein durchschnittliches Gewicht von 3g. Gerechnet auf eine Flasche trockenen Sekt (mit 24 g/l) bedeutet das, wir haben etwa 6 Würfel Zucker konsumiert. Bei Halbtrocken kann es dann schon auch mal das Doppelte sein. Ich finde das eine stattliche Menge Zucker! Und wer mich kennt weiß, dass ich meinen Zucker mit unnormal viel Kaffee genieße – oder war das jetzt andersherum? Wie dem auch sei, nachdem ich mich schon am Billigsekt abgearbeitet habe, wollte ich auch hierzu noch etwas schreiben.
Wer wirklich guten Sekt trinken möchte, der sollte sich an den untersten drei Stufen versuchen. Und keine Sorge, es könnte dann irgendwie zu sauer sein. Die Weine bringen eine wundervolle Frucht und Frische mit, ihr werdet den Zucker wirklich nicht vermissen.
Dazu doch direkt ein paar Bubbles zum Beweis:
Endrizzi – Piancastello Rosé – Brut – Trento DOC (2016)
Zwischen den Weinreben verkostet es sich doch am besten. Nachdem ich inzwischen meinen Zahnpastaschock überwunden hatte, konnten wir uns in schöner Atmosphäre die Weine munden lassen. Zartrosa blubbert der Wein in meinem Glas. Der Piancastello Rosé verbringt mindestens 60 Monate auf der Hefe und das schmeckt man auch. Zwar sind wir insgesamt eher auf der Fruchtseite, trotzdem zeigt sich schüchtern ein kleines Brioch(le). Neben dem zurückhaltenden Hefegebäck versammelt der dominierende Pinot Nero jede Menge rote Früchte. Die Perlage ist wunderbar fein und legt sich schmeichelnd um die Zunge. Obwohl der Schaumwein frisch und belebend um die Ecke biegt, nimmt er es sicherlich auch mit dem ein oder anderen Essen auf. Als hoffentlich moderner Vertreter meines Geschlechts, verschreckt mich auch die weingutseigene Beschreibung „Der Geschmack ist anregend und extrem individuell und umfasst in sich die Essenz einer raffinierten und modernen Weiblichkeit“ nicht in meiner Männlichkeit. Im Gegenteil sogar, ich lehne mich dabei zurück und genieße einfach diesen wunderschönen Wein. In diesem Sinne: Auf die raffinierte und moderne Weiblichkeit!
Der Schaumwein kommt übrigens mit 9 g/l Restzucker aus.
[1] Für die Pedanten: Champagner muss zwar auch mindestens 15 Monate Flaschenreife hinter sich bringen, davon aber nur 12 auf der Hefe. Im Trento DOC sind es dann weitere 24 Monate für Jahrgangsschaumweine (Champagne: 36 Monate) und 36 Monate für die sog. Riserva.
[2] Basierend auf einer EU-Verordnung sind die Angaben europaweit (verhältnismäßig) einheitlich.
Ein Kommentar zu „Zahnpasta und Zuckerwasser“