Panscherei mit Tradition

Weihnachten steht vor der Türe und auf deutschen Weihnachtsmärkten wird fleißig Glühwein ausgeschenkt. In der Weinwelt finden sich aber nicht nur Anhänger dieses geistigen Heißgetränks. Wie auch beim Federweißer, empfinden es einige Weinliebhaber als pure Verschwendung.

Zugegeben, nicht jede Tradition muss auf Teufel komm raus bewahrt werden. Ich würde auch wirklich nur ungern am Vatertag mit dem Bollerwagen losziehen müssen. Aber manche Traditionen dürfen aus meiner Sicht gerne erhalten bleiben und möge die Weinwelt noch so sehr darüber lästern. Für mich gehört Glühwein einfach zur Vorweihnachtszeit dazu. Idealerweise auf einem dichtgedrängten Weihnachtsmarkt und mit ein paar frischen Schneeflocken auf der Bommelmütze. Angesichts der Pandemie und des Klimawandels, kann ich mir das für 2021 zwar abschminken, trotzdem will ich nicht darauf verzichten.

In Frankfurt hatten wir bisher Glück und konnten dieses Jahr wieder einen Weihnachtsmarkt genießen. Bratwürste, gebrannte Mandeln und Glühwein gehören da zum Standardprogramm. Allerdings eignet sich vielleicht nicht jeder Glühwein zum unbedenklichen Genuss. Das liegt aber weniger daran, dass ich als Weinliebhaber zu hohe Ansprüche hätte. Vielmehr läuft man teilweise einfach Gefahr, an Spontandiabetes zu erkranken; so viel Zucker wird da in den Wein gekippt. Irgendwie auch logisch: Zucker ist kostengünstig und kaschiert (im Zweifel) die minderwertige Qualität des Grundweins. Woher der Grundwein stammt, steht leider selten mit dabei. Ich würde mal darauf tippen, dass die passenden Tanklaster eher ein osteuropäisches Kennzeichen haben dürften. Mit genug Nelke, Orange, Piment und Zimt schmeckt den Wein ohnehin keiner mehr raus und ganz schnell hat auch der größte Muffel ein Weihnachtslied auf den Lippen. Manchmal kann Weinpanscherei auch ganz nett sein.

In meiner kleinen Weinwelt gibt es die groben Kategorien Stillwein, Schaumwein und gespriteter Wein (Portwein etc.). Ganz sicher gibt es für mich aber keine Kategorie: „Aromatisierte weinhaltige Getränke“. Getränke wie Glühwein, Weinbowle oder auch Federweißer stehen neben diesen Kategorien und haben mit meiner Weinleidenschaft herzlich wenig zu tun. Im richtigen Moment lasse ich mir sie gerne schmecken, würde es aber nie an den üblichen Ansprüchen messen. Ich käme mir auch reichlich albern vor, den Glühwein wie Stillwein zu verkosten und am besten noch auszuspucken. Im Ergebnis würde ich mir wohl einfach den Mund und Rachen verbrühen, mir die Schuhe versauen und den Unmut meiner Begleitung auf mich ziehen. Wahrscheinlich wäre der Grundwein ohnehin nicht zu bestimmen und ich müsste mich darauf beschränken zu sagen, welche Gewürze verwendet wurden. Oder ich lasse den ganzen Schmarrn und genieße einfach die vorweihnachtliche Stimmung.

Aber keine Regel ohne Ausnahme: Kürzlich führte mich mein Weg ins bezaubernde Paris. Am Rand des Jardin des Tuileries hat sich ein typischer Weihnachtsmarkt breitgemacht. Neben Raclette und Fondue-Ständen, gibt es dort auch jede Menge Vin Chaud. Umhüllt von intensivem Käseduft, kam ich kurz auf die Idee, einen einfachen Bordeaux als Grundwein zu erkennen. Gefühlt wurde der Wein nicht mit Zucker erschlagen, sondern kam mehr über die Gewürze. Weitere Nachforschungen waren mir aufgrund der immensen Sprachbarriere leider nicht möglich. Kommt eben davon, wenn man auf „Bienvenue“ mit „Bienvenue“ antwortet. Auch sonst kamen meine Spracheskapaden eher unfreiwilligem Slapstick gleich.

Aber auch auf deutschen Weihnachtsmärkten lassen sich gute und wirklich trinkbare Glühweine finden. Wer Angst vor einem Zuckerschock hat, sollte sich aber besser am sog. „Winzerglühwein“ orientieren. Da könnt ihr euch wenigstens sicher sein, dass dem Glühwein kein Wasser oder Säfte zugesetzt wurden und die Trauben auch tatsächlich aus dem Winzerbetrieb stammen. Natürlich gibt es auch dort süße schwarze Schafe, die Unmengen an Zucker verwenden. In aller Regel könnt ihr den Winzerglühwein aber unfallfrei trinken.

Ein kleines Résumé sei mir erlaubt: Manchmal sollten wir Weinheinis einfach die Kirche im Dorf lassen. Beziehungsweise den Spucknapf im Schrank. Dann können wir auch die Weihnachtszeit genießen, ohne allen anderen auf den Geist zu gehen. Und immer daran denken, wir haben fast elf Monate im Jahr ohne gepanschte Heißgetränke auf Weinbasis. Zum Verkosten gibt es dann aber doch „richtigen“ Wein.

Weingut Marx (Nahe) – Windesheimer Römerberg – Grauer Burgunder R – 2019

Der Wein braucht definitiv noch etwas Zeit. Am ersten Abend wirkt er sehr sperrig und grummelig. Nach knapp 24h findet er dann aber zu sich. In der Nase deutlich vom Holz geprägt, dazu etwas Vanille und gelbes Steinobst. Am Gaumen ist auch nichts Grummeliges übrig, trotzdem ist hier viel Emotion am Start. Der Schmelz umgibt die feinen vollreifen Fruchtnoten. Ziemlich druckvoll und mit ordentlich Grip. Zusammen mit der Säure ein schöner Gesamteindruck. Der Wein bleibt auch wirklich lange stehen. Glühwein würde ich beim besten Willen daraus nicht machen. Als Essensbegleiter kann ich ihn mir schon besser vorstellen. Trotzdem würde ich die nächste Flasche erst in ein paar Monaten aufmachen, der Wein kann es vertragen.

PS: Noch eine kleine Anmerkung in eigener Sache. Ich durfte neulich meinen ersten Podcast aufnehmen. Wer also das dringende Bedürfnis verspürt, mich etwa eine Stunde lang in seinen Ohren klingen zu hören, sollte mal hier reinschauen: Ben Spricht. Meine Tonqualität ist leider etwas ausbaufähig, inhaltlich gilt wahrscheinlich das gleiche. Finde es immer noch gruselig mich selbst zu hören. Aber dazu bald mehr.

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