Grauburgunder ganz hoch im Kurs

Weingutsbesuche sind meine (nicht ganz so) heimliche Lieblingsbeschäftigung. Mit den richtigen Begleitern geht’s dann manchmal zu, wie auf dem Händlerparkett der Frankfurter Börse. Im Vorfeld hätte nur keiner gedacht, dass ausgerechnet der Grauburgunder den Kurs bestimmen würde.

Nach meiner überstandenen Covid-Infektion war es mal wieder Zeit, in die Welt des Weines abzutauchen. Da war es fast schon eine Art Vorsehung, dass ein Junggesellenabschied vor der Türe stand. Ich musste zwar tagelang bangen, letztendlich gelang mir aber die Punktlandung. Zum Glück hat mich „nur“ Omikron erwischt. Bei einem dauerhaften Verlust des Geschmacks- und Geruchsinns, wäre mir das Thema Wein wahrscheinlich ziemlich verleidet worden und ich hätte meinen Weinkeller abgeben müssen. Mit negativem Testergebnis und ausgeruhten Geschmacksknospen ging es samstags los. Glücklicherweise begeistert sich der zukünftige Bräutigam auch für das Thema Wein und so wollten wir uns am Kaiserstuhl dem Rebensaft hingeben.

Die Anreise gestaltete sich tatsächlich angenehmer als erwartet. So ein Kleinbus fühlt sich mit dem richtigen Begrüßungssekt schnell wie die Business-Class eines durchschnittlichen Inlandsfluges an. Zwar war die Blubberbrause recht zügig verbraucht, dafür gab es dann aber wohl temperiertes Bier. Die tatsächliche Uhrzeit der nachfolgenden Ereignisse möchte ich aus Selbstschutzgründen besser verschweigen, aber in Tokio war bereits früher Nachmittag.

Gegen 19.30 (GMT+9) setzten wir zum Landeanflug auf das Weingut Dr. Heger in Ihringen an. Im mondänen Verkostungsraum war bereits alles für uns vorbereitet. Der Blick auf die Weinliste ließ mich dann aber etwas ernüchtern. Die Auswahl wirkte zunächst…sagen wir…schmalspurig. Die Entscheidung kann ich absolut verstehen, schließlich konnte keiner wissen, dass wir mit einigen Weinfreaks anreisen würden. Bereits nach wenigen Minuten mussten wir dann auch noch einen Tiefschlag einstecken. Unser Fahrer (Nochmal ein großes Dankeschön) informierte sich prompt nach dem besten Schorlewein. Kurzzeitig verlor unsere sympathische Betreuerin den Glauben an die Sinnhaftigkeit des weiteren Unterfangens. Nichtsdestotrotz konnten wir uns aber schnell die notwendige Street Credibility zurückerarbeiten und beweisen, dass hier durchaus Weinenthusiasten mit am Tisch sitzen.

So kam es, dass sie schon beim dritten Wein den Entschluss fasste, von der vorgesehenen Verkostungsreihenfolge abzuweichen. Stattdessen machten wir uns schnell in die Gefilde der Ersten Lagen und Großen Gewächse auf. Was dann kam, ließ unsere Herzen höherschlagen.

Die meisten am Tisch waren dem Grauburgunder gegenüber eher skeptisch eingestellt. Mit Ausnahme vielleicht unseres schorletrinkenden Fahrers. Irgendwie auch nachvollziehbar, hat man doch assoziativ einen nichtssagenden Pinot Grigio aus der Klarglasflasche im Kopf. Ich hatte das Weingut Dr. Heger auch eher der Spätburgunder wegen auf der Pfanne. Vor uns wurde ein Feuerwerk der weißen Burgundersorten abgebrannt. Dabei überragten die Grauburgunder ihre ampelographischen Verwandten deutlich und verursachten frenetische Beifallsstürme am Gaumen. Hier weiter auf die einzelnen Weine oder Aromen einzugehen wäre unredlich. Für einen Junggesellenabschied waren wir zwar recht diszipliniert. Trotzdem verzichtete ich auf Verkostungsnotizen und meine Erinnerungen sind auch eher durch Geselligkeit getragen. In jedem Fall blieben mir sowohl die Weiß- als auch Grauburgunder dank ihres Körpers und Struktur in guter Erinnerung.

Während unserer Begegnung mit den weißen Burgundersorten klarte dann so langsam auch der Himmel auf. Weshalb die Idee entstand, die Rotweine im schönen Innenhof zu genießen. Dort wurde es dann nicht minder deliziös. Wir kamen in den Genuss, die GG-Kollektion weitflächig zu verkosten und konnten gleich mehrere Jahrgänge vergleichen. So stand ich im sonnverwöhnten Innenhof des Weinguts, in jeder Hand zwei Weingläser und kam aus dem Grinsen nicht mehr raus. Selten war ich der Weinglückseeligkeit so nahe!

Danach brach die „Hölle“ los. Nach knappen vier Stunden ging in Tokio langsam die Sonne unter und wir mussten uns verabschieden. Klar war, nahezu jeder wollte noch ein paar Weine einsacken. Vor lauter Überschwang ging leider unsere Disziplin etwas flöten. Und so umringten wir die Weingutsmitarbeiterin und sorgten für etwas Chaos. Sie ging dann dazu über, einfach die jeweiligen Weine und Jahrgänge auszurufen und wir echoten unsere Zahlen zurück. Ehrlichgesagt hatte ich schon beim zweiten Wein den Überblick verloren. Auf dem Händlerparkett der Frankfurter Börse dürfte es früher nicht turbulenter zugegangen sein. Uns fehlten lediglich die bunten Jacketts, stattdessen konnten wir nur mit einem Einhorn und einem Fez aufwarten. Trotz unserer mangelnden Börsenbekleidung schossen immer wieder unsere Hände in die Höhe, um eine weitere Order zu platzieren. Souverän behielt unsere Betreuerin das Ruder in der Hand und so hoffe ich, dass jeder seinen Wein bekommen wird. Die Empfangsdame einer großen deutschen Anwaltskanzlei wird sicher Augen machen, wenn die Weinlieferung eintrifft. Ich selbst war in dieser Situation derart von einem Muskateller betört, dass ich ganz vergaß, mich einzubringen. Glücklicherweise lässt sich das Nachholen und ich werde sicherlich nicht das letzte Mal am Kaiserstuhl gewesen sein.

Der restliche Samstag lief dann eher fernab von Wein. Und wie heißt es so schön: „Was in Freiburg passiert, bleibt in Freiburg“. Um die allgemeine Verschwiegenheit sicherzustellen, sprachen wir noch etwas dem Bier zu. Wenn sich keiner mehr sicher ist, was genau passiert ist, kann auch keiner ins Plaudern kommen.

Doch damit konnten wir es noch nicht bewenden lassen. Mittelprächtig motiviert, sollte es für einen Teil der Gruppe am Sonntag weitergehen. Nach einigen gastroentorologischen Schwächeleien fanden wir uns kurz vor 12 Uhr im Weingut Fritz Keller ein. Tatsächlich kostete es mich einiges an Überwindung, erneut dem Rebensaft eine Chance zu geben. Die Weine sind wohl ein bisschen an mir vorbeigezogen. Gefühlt waren meine Geschmacksknospen auch noch nicht aus der Kneipe zurück und ich stümperte ein wenig vor mich hin. Nach dem Tasting waren unsere Startschwierigkeiten überwunden und wir erstanden voller Übermut noch ein paar gekühlte Schaumweine. Blubbernd machten wir es uns auf der Oberbergener Bassgeige gemütlich. Mit herrlichem Ausblick ließen wir die Zeit am Kaiserstuhl ausklingen und den lieben Gott einen guten Mann sein. Schließlich zog es uns über den „Texaspass“ weiter zu den Altrheinauen. Was sich dort noch so alles zutrug, hat nichts mit Wein zu tun und bleibt daher ebenfalls unter dem Mantel der Verschwiegenheit. Aus mir unerfindlichen Gründen, fand ein abgeholzter Rebstock seinen Weg in unseren Kofferraum. Vom Schaumwein euphorisiert war ich der Überzeugung, das Dekoobjekt schlechthin gefunden zu haben. Erstaunlicherweise teilte nicht jeder diese Auffassung. Bislang fristet das Treibgut daher ein eher jämmerliches Dasein auf unserem Balkon. Ich bin mir aber sicher, wir werden ihn noch richtig in Szene setzen. Und selbst wenn nicht, werde ich jedes Mal, wenn ich über ihn stolpere, an dieses grandiose Wochenende denken. Jeder Einzelne trug seinen Teil dazu bei, diese Tage unvergesslich zu machen. Ich freu mich auf die Hochzeit!

Ungeachtet der Geselligkeit und des sich anschließenden Trubels, blieb mir ein Wein in ganz besonderer Erinnerung:

Weingut Dr. Heger – Ihringer Winklerberg Hinter Winklen – Gras im Ofen – Grauburgunder GG (2019)

Trotz des vielleicht etwas sperrigen Namens, kein sperriger Wein, sondern Eleganz pur! Bereits in der Nase wahnsinnig dominant. Wir waren allesamt geflasht und schnupperten immer tiefer in unser Glas. Für mich hatte er etwas Ledriges, vielleicht ein bisschen verbrannter Gummi. Der Wein offenbart hier aber schon seine Eleganz und seine Herkunft aus dem Holz. Am Gaumen dann ein „phenomenal“ reifes gelbes Steinobst mit ein bisschen Exotik. Wirklich toll, aber beeindruckend war der Zug im Mund. Der Wein bringt eine unglaubliche Harmonie und Körper mit. Säure und Phenolik passen perfekt zu einander und lassen den Mundraum erbeben. Kein Wein für jeden Tag und vielleicht für manche etwas überfordernd, für mich aber ein Monument.

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