Wir SpuKen an der Mosel!

Im Couleurstudentischen ist es guter Brauch, ausgedehnte Spaziergänge zu unternehmen. Weil körperliche Anstrengungen für sich genommen nur selten Begeisterungsstürme auslösen und die Flüssigkeitsaufnahme dabei ohnehin nicht zu kurz kommen sollte, wird daraus schnell ein sogenannter SpuZ. Kurz für Spazieren und Zechen. Getreu dieser Tradition, ging es Ende September mit zwei Freunden an die Mosel. Unserem Alter angemessen gab es diesmal aber statt lauwarmem Oettinger köstliche Weine. Damit sei eine neue Tradition begründet, der SpuKSpazieren und Verkosten.

Zu meiner Überraschung führe ich hier doch kein reines Selbstgespräch. Und so kam es, dass ich gefragt wurde, ob ich nicht im Herbst eine kleine Weinwanderung organisieren könnte. Spontan entschieden wir uns für den Moselsteig.

Jetzt sollte sich dieser Trip nicht auf das Spazieren und Zechen (ähm… Verkosten) beschränken. Wir stellten den Ausflug daher unter das Motto: Terroir! Schließlich soll das Ganze auch zu was Nütze sein. Eine Weinbergwanderung ist geradezu prädestiniert, um sich das jeweilige Terroir etwas näher anzuschauen. Einige werden jetzt wissend nicken, anderen schwebt ein Fragezeichen über dem Kopf. Terroir ist einer dieser fast mythischen Begriffe der Weinwelt. Ständig liest man ihn und doch können sich viele nicht wirklich was darunter vorstellen. Hier hilft wirklich nur Feldforschung. Gähnende Leser dürfen den nächsten Einschub gerne überspringen, aber ich will kurz für ein bisschen Begriffsklarheit sorgen:

Der Begriff des Terroir (franz. Gegend) stammt aus Frankreich und beschreibt eigentlich nur die naturgegebenen Standortfaktoren einer landwirtschaftlich genutzten Fläche. Im Weinbau spielt das Terroir aber eine wichtige Rolle und es gilt als große Kunst, das Terroir eines Weines herauszuarbeiten. Klassischerweise umfasst das Terroir eines Weinberges dessen Klima (Temperaturen und Niederschlag), die Sonneneinwirkung, das Bodenrelief (Geländeform), die Geologie (physikalische und chemische Zusammensetzung des Bodens) und die Hydrologie (Bodenfeuchtigkeit). Vielfach wird auch die Bewirtschaftungsform durch den Menschen zum Terroir gerechnet.

Ist das jetzt alles Hokuspokus oder nehmen diese Faktoren wirklich maßgeblichen Einfluss auf den Wein? Für Weinliebhaber steht das außer Frage. Trotzdem höre ich mir regelmäßig an, dass es doch keinen Unterschied machen kann, ob die Reben nun zehn Meter weiter oben oder unten stehen. Diesem Rätsel wollten wir bei unserer Reise ein wenig auf den Grund gehen.

Freitag: Ich glaub, ich sehe doppelt.

Unser Basislager schlugen wir freitags beim Weingut Später-Veit auf. Mit einem herrlichen Kabi[1] (Später-Veit, Piesporter Goldtröpfchen „Armes“ – 2017) ließen wir es uns auf der charmanten Moselterrasse gut gehen. Mit Blick auf das Piesporter Goldtröpfchen (Die Lage heißt wirklich so, ihr könnt jetzt aufhören zu kichern) plauderten wir über Gott und die Welt.

Irgendwann gegen 22:00 Uhr fing ich auf einmal an, immer schlechter und verschwommener zu sehen. Könnte natürlich am Wein liegen! Ausnahmsweise war der aber mal nicht daran schuld. Grund für meine spontane Sinnestrübung war die Mosel. Innerhalb kürzester Zeit legte sich ein Tauschleier über das gesamte Ufer und eben auch auf meine Brille. Schon irgendwie beeindruckend, wie der Fluss hier auf seine Umgebung wirkt. Wird es dann am nächsten Tag wieder wärmer, fühlen sich Pilze natürlich besonders wohl. Für die tiefergelegenen Rebflächen kann das zu einem echten Problem werden. Flüsse sind richtige Wettermaschinen. Sie regulieren Temperaturen, sorgen für eine gleichmäßige Wasserversorgung und bewegen Luftmassen. Im Tal ist die Wirkung aber eine andere als in höheren Lagen – Terroir eben.

Samstag: Und immer bergauf!

Nach einer kurzen Autofahrt bogen wir in Monzel auf den Moselsteig ein. Bei eher nebligem Wetter konnten wir die Mosel leider nur erahnen. Ich bin mir aber sicher, irgendwo da unten im Tal wird sie gewesen sein. Trotzdem wanderten wir frohen Mutes über die Wirtschaftswege in Richtung Lieser. Unterwegs fielen uns weitere Besonderheiten auf. Gefühlt alle paar Meter veränderte sich der Bodentyp. Zu Beginn sahen wir noch eine relativ dicke Schicht „Mutterboden“ mit ordentlich Begrünung. Dann wandelte es sich langsam zu einer Art Verwitterungsboden und der Anteil an kleinen Schieferbruchstücken nahm merklich zu. Als wir dann unter dem Schriftzug des Brauneberger Juffers angekommen waren, lag stellenweise ein reiner Schieferboden mit groben Gesteinsbrocken vor uns. Karg trifft es ganz gut und außer Weinreben scheint hier auch nicht mehr viel anderes zu wachsen. Zumal die Hänge auch immer steiler wurden. Wir fragten uns stellenweise ernsthaft, wie man hier ohne Sicherungsseil arbeiten kann.

Ich denke, es ist keine Raketenwissenschaft zu erkennen, dass sich diese Unterschiede auf die Reben auswirken. Hier machen zehn Meter schon mal einen gewaltigen Unterschied. Zumal der Schiefer ein wunderbarer Wärmespeicher ist und allein dadurch das Wachstum beeinflusst.

Aber auch der Faktor Mensch wurde schnell deutlich. Anders als manche denken, gehört nicht einem Winzer ein Weinberg. Die Besitzverhältnisse können von Rebzeile zu Rebzeile wechseln. Und wie das eben so ist, macht jeder Winzer sein Ding. Auf den eher erdigen Hängen ließen manche beispielsweise viel Zwischenbegrünung stehen, andere bevorzugten offensichtlich eher das Modell >Golfplatz<. Teilweise wirkten die Weinreben wie frisch aus dem Frisiersalon, andere wiederum trugen eher den Lockdown-Style.

Dann gibt es an der Mosel auch noch die sogenannte Einzelpfahlerziehung. Wie beim Menschen gilt auch im Weinbau: Erziehung ist alles. Wird hier gepatzt, gerät auch die Rebe außer Rand und Band. Bei der Einzelpfahlerziehung werden die Reben nicht an einem Drahtgerüst in Reih und Glied (Spalier) angeheftet, sondern jede bekommt einen einzelnen Pfahl. In Herzform werden ihre Ruten dort angebunden und die Pflanze wächst dadurch natürlich ganz anders; den Unterschied erkennt selbst ein Laie. Die Vor- und Nachteile von solchen Einzelkindern mögen die Profis diskutieren.  An eine maschinelle Ernte ist hier ohnehin nicht zu denken, so lebensmüde ist wirklich keiner. Die Lese findet in diesen Steillagen immer von Hand statt. Der Legende nach kommen Moselaner daher mit unterschiedlich langen Beinen zur Welt. Basierend auf unseren empirischen Beobachtungen, ist das aber nur ein Ammenmärchen – wir haben nur wohlproportionierte Menschen getroffen.

Aber es wäre kein SpuZ (ähm…SpuK), wenn wir nicht auch ein wenig zechen (ähm… verkosten) würden. Natürlich ganz gesittet und so. In Lieser angekommen, machten wir uns daher auf zum Weingut Thanisch. In freundlicher Atmosphäre tranken wir uns fröhlich durch die Kollektion. Morgens um zehn Uhr eine sportliche Angelegenheit, aber wir wollten es ja so. Zum Glück hatten wir diesmal alle vor dem Frühstück die Zähne geputzt, so konnten wir die Weine auch angemessen würdigen. Mir blieben dabei die Chardonnay 500 – Reserve und die Riesling Spätlese (trocken) aus dem Lieser Niederberg Helden von 2017 besonders im Gedächtnis. Zwei wirklich große Weine, die kaum mehr Spaß machen könnten. Da war die Uhrzeit dann auch schnell vergessen. Leider etwas zu viel, den Anschlusstermin musste ich direkt mal um eine halbe Stunde verschieben…ups!

Nach einem kurzen Blick in die beeindruckende Schatzkammer und die Produktionsräume zogen wir dann glücklich weiter. Während wir so über die Moselbrücke in Lieser flanierten, verzog sich auch langsam der Nebel. Bei einem Blick auf die umliegenden Weinberge geht einem im wahrsten Sinne des Wortes ein „Terroir“-Licht auf. Während ein Teil der Hänge noch immer im Schatten lag, breitete sich über andere Stellen die Sonne aus. Je nach Neigung, Exposition und Winkel bekommen die Lagen unterschiedlich viel Sonne ab. Der Zusammenhang zwischen Sonne und Wein versteht sich von selbst. Und so hat eben jede Parzelle ihren ganz eigenen Rhythmus. Unterschiede im Wein sind also kein Hexenwerk, sondern schnöde Naturwissenschaft.

Auf der anderen Seite angekommen, ging es dann schnellen Schrittes zum Weingut Max Ferd. Richter. Hier empfing uns Constantin Richter im historisch-heimeligen Verkostungsraum. Beim Ritt durch die Richter’sche Kollektion wurde die Stimmung schnell ausgelassen. Ich kann es nicht verhehlen, ich liebe die Kabis aus dem Hause Richter. Auch im Jahrgang 2020 stimmt hier gefühlt alles, eine perfekte Balance zwischen Säure und Süße, gepaart mit wundervollen Fruchtaromen. Irgendwie simpel und doch komplex. Besonders beeindruckten uns zwei Weine aus Mühlheim. Obwohl die beiden Lagen Sonnenlay und Helenkloster unmittelbar aneinandergrenzen, schmecken die Weine doch unterschiedlich – es scheint also was dran zu sein an diesem Terroir.

Leicht beschwingt nahmen wir den Mammut-Teil unserer Wanderung in Angriff. Hinauf auf den Elisenberg und weiter durch den Wald in Richtung Bernkastel-Kues. In meiner Studienzeit ging damals das Lied „Tübingen, warum bist du so hügelig“ viral – ich kann euch sagen, die Mosel toppt das allemal.[2] Nörgelig wie ich manchmal bin, brachte ich meinen Unmut wohl ausreichend zum Ausdruck. Im Geiste plante ich bereits die nächste Weinwanderung in Schleswig-Holstein, da ist es wenigstens schön eben. Schließlich wurden wir aber immer wieder mit spektakulären Ausblicken auf das Moseltal belohnt. Nach einem kurzen Abstecher zur Burg Landshut ging es dann hinab zu unserem Hotel.

Und ein Abstieg war es in vielerlei Hinsicht. Ja okay, das Hotel Germania war jetzt nicht sonderlich teuer und die Lage mitten in der Altstadt hätte uns demgemäß stutzig machen sollen. Trotzdem ging ich davon aus, dass es in Deutschland einen gewissen Mindeststandard gibt, der nicht unterschritten wird. Pustekuchen! Die Einzelzimmer waren allesamt aus einer Kategorie, um spontan die gute Kinderstube zu vergessen! Spinnen an der Decke. Schmutz auf dem Boden. Unverputzte Bohrlöcher und Kabel aus der Wand. Kaputte Einrichtungsgegenstände und ein liebevoller Blick auf die innenhöfischen Mülltonnen. Ich bin echt nicht pingelig, aber so ein paar zivilisatorische Annehmlichkeiten dürfen es dann schon sein. Doof war nur, dass ich diesen Brummer von Spinne nicht richtig getroffen habe. Statt dieses Vieh zu beseitigen, krabbelte es dann irgendwo im Zimmer rum. Wenigstens hatte ich so etwas Gesellschaft.

Ein längeres Verweilen in dieser Bruchbude versuchten wir zu vermeiden, weshalb wir uns direkt aufmachten zum letzten Weingut des Tages. Weingut Witwe Dr. H. Thanisch – Erben Thanisch. Kein Scherz, der Name existiert wirklich und es gibt noch ein weiteres Weingut mit fast gleichem Namen.

Gemeinsam mit einer weiteren Besuchergruppe nahmen wir im idyllischen Garten mit Blick auf die Mosel Platz. Die Chefin höchstpersönlich führte uns durch die Weine und wir hatten Gelegenheit, auch die Weine der berühmten Doctorlage zu verkosten. Insbesondere der Kabi aus dieser Lage hatte eine besondere Tiefe und Würzigkeit – wirklich einzigartig. Ein kleiner Wermutstropfen blieb allerdings: Leider wurde es vorab versäumt, uns zu kommunizieren, dass die Probe kostenpflichtig sein wird. Grundsätzlich habe ich mit sowas gar kein Problem, schließlich nimmt man sich ja auch jede Menge Zeit für uns. Allerdings wünschte ich so etwas vorher zu erfahren, und nicht, wenn der Spaß vorbei ist. Bei so tollen Weinen will man ja auch nicht kleinlich sein. Meine juristischen Zuckungen unterdrückend, habe ich daher nichts weiter dazu gesagt und wir ließen den Abend dann noch mit ein paar Kölsch in einer urigen Kneipe ausklingen. Unglaublich wie gut selbst ein Kölsch nach so viel Wein schmecken kann.

Sonntag: Herzinfarkt und Kabinett!?

Nach einem überraschend anständigen Frühstück machten wir uns auf in Richtung Zeltingen. Gefühlt liefen wir den ganzen Vormittag nur bergauf, um dann weiter bergauf zu laufen. Inzwischen merkte ich meinen Schreibtischjob und sehnte mich nach flacheren Gefilden. Aber es hat sich gelohnt: Vorbei am Bernkasteler Doctor und dem Graacher Himmelreich marschierten wir über die „Höhenzüge“. Zwischendurch durfte ich dann auch mal etwas Adrenalin tanken. Als schrecklicher Schlangenphobiker reicht dafür im Zweifel auch eine harmlose Blindschleiche aus. Für mein Unterbewusstsein ist es nie ein gutes Zeichen, wenn sich vermeintliche Äste bewegen. Da ist es erstmal egal, ob es sich um eine optisch verunfallte Eidechse oder eine richtige Schlange handelt. Nach diesem Schreckmoment war ich jedenfalls wieder wach und durfte ein wenig den Adrenalinrausch genießen! Ich habe mich dann sogar getraut ein Bild von diesem überdimensionalen Regenwurm in Schlangenoptik zu machen! Eigentlich wollten wir am Sonntag komplett auf Wein verzichten. Zum Abschlussessen gab es dann aber doch nochmal ein Kabinett aus dem Erdener Treppchen vom Weingut Joh. Jos. Christoffel Erben. Nach meinem Schreckerlebnis war es auch dringend nötig, außerdem macht dieser Tropfen einfach Spaß! Und es ist keineswegs abwertend gemeint, wenn ich sage, es trinkt sich wie Limo für Erwachsene.

Mit einem veritablen Muskelkater in den unteren Extremitäten beendeten wir schließlich unser kleines Weinabenteuer. Was bleibt, sind ein paar tolle Erinnerungen und die Erkenntnis, dass wir jetzt das Terroir etwas besser verstehen. Wer immer noch daran zweifeln mag, sollte vielleicht sein Trinkverhalten überdenken. Der Einfluss des Terroir kann natürlich nur bei den Weinen zu Tage treten, die auch aus einem begrenzten Gebiet stammen. Wer weiterhin den Landwein von der Mosel in sich reinschüttet, wird darin kaum das Terroir einer Einzellage finden. Wie auch? Schließlich können sich dann Trauben aus dem ganzen Erzeugergebiet in der Flasche tummeln und das sind immerhin ca. 8770 ha.

Nachdem dieser Text ohnehin schon völlig ausgeufert ist, kann ich euch jetzt auch noch meinen Wein der Reise vorstellen:

Bilder teilweise mit freundlicher Genehmigung vom Weingut Thanisch in Lieser

Weingut Thanisch – Lieser Niederberg Helden – Riesling Spätlese trocken (2017)

Gewissermaßen ein Late Release. Das Weingut Thanisch hat ein paar dieser Schätzchen bei Seite gelegt und bewusst vergessen. Gott sei Dank! So konnten wir einen wirklich grandiosen Wein verkosten. Hier bleiben einfach keine Wünsche offen. Bereits in der Nase verkündet er stolz seine Herkunft. Dieser Wein ruft einem quasi >Mosel< entgegen und ich lausche mit Freuden seinem Monolog. Einfach schwenken und riechen. Ich hätte Stunden so verbringen können. Komplex und getrieben von einer Mineralik explodiert der Wein im Mund. Kurz vor dieser Detonation dachten wir, der Wein sei schon vorbei und dann…Boom! Etwas reifere Früchte und eine animierende Säure komplettieren den Wein. Er verabschiedet sich mit einem beeindruckenden Finish und hinterlässt nur einen Wunsch: Bitte nachschenken!

Nachtrag zu meinem letzten Kellergejammer: Mit dem Einkaufen habe ich mich diesmal tatsächlich zurückgehalten…auch wenn es knapp war. Das Wochenende darauf ging es nach Würzburg, aber lest doch einfach selber…


[1] Wenn ich hier Kabi schreibe, meine ich die typischen fruchtsüßen bzw. feinherben Mosel Rieslinge mit dem Prädikat Kabinett. Schließlich bin ich jung, hipp und muss beim Schreiben Zeit sparen.

[2] Übrigens der erste Treffer auf Youtube, wenn man Tübingen eingibt. Viel Spaß mit diesem Ohrwurm: https://www.youtube.com/watch?v=5xBSrqpiiCk

2 Kommentare zu „Wir SpuKen an der Mosel!

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