Wenn ich einmal groß bin…

Viele kennen es, kaum jemand versteht es. Da liegt mein ganzer Keller voll mit Wein und doch finde ich nichts zum trinken. Fast ein bisschen wie beim klischeebehafteten Kleiderschrank. Dabei ist es eigentlich ganz einfach.

Samstag Nachmittag. Heute Abend kommen Gäste.* Es gibt Grund zu feiern, natürlich will ich da einen besonderen Wein servieren. Dumm nur, die Gäste kennen sich mit Wein aus. Also was mach ich auf?

Ich schleiche also abermals um meine „kleine“ Flaschensammlung und suche nach einem geeigneten Kandidaten. Meine Weinleidenschaft ist noch gar nicht so alt. Meine Vorstellung eines Weinkellers ist noch viel jünger. Entsprechend undurchdacht ist mein Weinkeller. Gerne würde ich euch an dieser Stelle mitteilen, dass ich vom ersten Tag an wusste, was ich einlagern will und was nicht. Wäre aber glatt gelogen.

Eine kurze Bestandsaufnahme:

Die ersten Weine, die es überhaupt wert waren gelagert zu werden, stammen von meiner Frankreichreise im Frühjahr 2019. Provence, Südrhône und Bordeaux. Viele schöne Ziele, viele schöne Weine. Gekauft habe ich auch viel, nur leider ohne jedes Prinzip. Bei dieser Reise war mein „Preiskompass“ noch ein anderer; Weine jenseits der 15 Euro waren für mich übermäßig teuer. Und wäre mein Franzözisch nicht so schlecht, hätte ich auch weit weniger gekauft. Irgendwie wollten die Winzer immer was anderes verstehen. Da wurde aus: „Insgesamt drei Flaschen“ schnell mal „und noch drei Flaschen„. Naja seis drum. Fakt ist: In meinem Keller finden sich ein paar tolle Flaschen Rotwein, ganz besonders aus Saint Emilion und natürlich Châteuaneuf-Du-Pape. Leider sind die alle aus den Jahren 2015 und 2016. Wahrscheinlich machen die auch jetzt schon richtig Spaß, aber ich wollte sie ja liegen lassen und nicht viel zu früh schlachten.

Weiter in der Sammlung. Im Laufe der Zeit sammelten sich ein paar junge Pinots und Rieslinge an. Struktur oder Systematik? Fehlanzeige! Hatte ich mir beim Erwerb große Gedanken über die Qualität des Jahrgangs gemacht? Wieder Fehlanzeige! Meine Guts- und Ortsweine sind schon in guter Form, aber für den Abend irgendwie nicht besonders genug. Die wenigen Großen Gewächse sind aus 2017 und 2018; kommt mir erneut irgendwie falsch vor.

Meine Suche geht also weiter: Classico, Superiore, Ripasso und Amarone. Valpolicella, Bardolino und Lugana. Alles, was der Gardasee so hergibt (Soave haben wir leider nicht mehr geschafft). Im letzten coronabedingten Urlaub ging es an der deutschen liebsten See. Da ich ja nicht den ganzen Tag über spitze Steine ins Wasser watscheln wollte, musste ich dringend Wein kaufen. Gesagt, getan. Wunderschöne Ausflüge endeten mit einem vollgepackten Auto. Fortschritt im Einkaufsverhalten? Durchaus vorhanden, aber ausbaufähig. Ich kaufe diesmal aber tatsächlich nur Weine, die mich auch wirklich überzeugen. Wenigstens keine Verlegenheitskäufe. Bei 80% der Weine ist mir aber klar, die siehst du so schnell nicht wieder und vergisst sie am besten direkt. Hier werde ich also auch nicht fündig.

Kurzum: Ich hab den ganzen Keller voll mit Weinen und nichts zum Trinken dabei. Entweder zum Lagern bestimmt oder für gewisse Anlässe zu belanglos.

„Warum kaufst du dann nicht einfach alte Weine? Gibt’s doch sicherlich genug von.“

Joa, das stimmt wohl. Vielleicht ist es der Schwabe in mir, er sehnt sich wohl nicht nur nach einem regelmäßig wiederkehrenden Kehrwocheschild, sondern auch danach zu sparen. Weine des aktuellen Jahrgangs sind oft günstiger als gereifte Exemplare. Irgendwie leuchtet das ja auch ein, die Flaschen wollen irgendwo liegen und benötigen sogar etwas Pflege. Die Preissteigerung folgt aber keiner (für mich) vorhersehbaren Kurve. Bei meinen Shoppingversuchen sah ich mich jedenfalls mit teils astronomischen Preisen konfrontiert. Keine Ahnung woran es liegt. Wahrscheinlich bin ich noch etwas ungeschickt und meine Bezugsquellen sind die falschen. Falls hier jemand eine Lösung für mich hat, immer her damit. Gerne öffnen wir die erste Flasche dann auch zu zweit. Immerhin hab ich dann ja endlich Wein zum trinken im Haus.

Ich bilde mir ein, dass auch mein Stolz eine Rolle spielt. Die Vorstellung, einen Wein selbst reifen zu lassen, ist etwas besonderes und teuer kaufen kann jeder. Sicherlich: Irgendwie baut sich eine emotionale Beziehung zu so einer Flasche auf (Diesen Satz sollte vllt. wirklich kein Psychologe lesen). Als Hobby-Hosentaschenpsychologe komme ich zu dem Ergebnis, es ist nur eine modernere Form der Jagdtrophäe. Also alles in Ordnung. Ich freue mich einfach, diesen Wein geschossen zu haben und hänge mir die Geweihe an die Kellerwand. Was dazu wohl ein Psychologe sagen würde?

Natürlich spielt auch Vertrauen eine Rolle. Gereifte Weine kaufe ich blind und ohne sie verkostet zu haben. Hier hab ich tatsächlich ein kleines Problem mit. Der innere Schwabe ruft mir laut zu: „Kauf nicht die Katze im Sack.“ Ich kenne auch die Lagerbedingungen nicht. Es bleibt also ein Restrisiko. Rede ich mir es damit schön? Vielleicht!

Aber lagert er bei mir so viel besser?

Hier muss ich mich selbst enttäuschen: Entgegen jeder Hoffnung verfüge ich leider nicht über ein Kellergewölbe und mein Lagerraum ist auch nicht mit einer hohen Luftfeuchtigkeit gesegnet. Aber immerhin ist er dunkel und liegt konstant etwa bei 15 Grad. Und nur zwei Stockwerke unter mir; während Corona ein großer Vorteil. Immerhin etwas. Bedeutet also, mein Wein reift nicht unbedingt perfekt, aber er reift wahrscheinlich konstant. Durch die etwas höhere Temperatur geht alles etwas schneller, aber ich versuche es einzukalkulieren. Die Gesamtschaft meiner Mathelehrer verdreht gerade sicher die Augen. Außerdem reise ich gerne direkt zum Weingut. Sowohl in Deutschland als auch im europäischen Ausland ist es immer eine nette Sache. Irgendwie mag ich Winzer. Ob sie mich auch mögen? Am Ende eines solchen Besuches schaufel ich dann wieder einmal den Kofferraum des Mietwagens voll und hoffe, mir nicht wieder selbst untreu geworden zu sein. Spätestens wenn ich die Weine einräume, kann ich mir die Frage selbst beantworten: Ganz hat es wieder nicht geklappt, aber ich werde von mal zu mal etwas besser. Die kleinen Rückschläge schmecken ja auch ganz lecker. Sozusagen köstliche Patzer.

Mein innerer Schwabe zwingt mich also zum Warten. In vier bis fünf Jahren geht dann das große Trinken los. Aber bis dahin? Warten oder opfern!

Mein heutiges Problem ist aber immer noch nicht gelöst. Leider bin ich auch nur ein Mensch, also naschen wir heute einen Wein, der wahrscheinlich noch viel länger liegen sollte. Hab ich schon erwähnt, dass ich immer etwas zu neugierig bin?

Château Cantenac Brown – BriO – 2015

Der Zweitwein des klassifizierten Weinguts Cantenac Brown aus dem Margaux durfte erstmal in die Karaffe. Obwohl dieser Wein noch eine ganze Weile hätte liegen dürfen, war ich begeistert. Ein intensiver Duft nach dunklen Früchten, für mich sind es Brombeere und Pflaume. Der Geschmack hält, was er verspricht. Die Tannine sind rund und geschliffen. Die dunklen Früchte kommen jetzt zusammen mit etwas Mokka und Zartbitterschokolade daher. Ehrlich gesagt macht es richtig spaß. Cabernet Sauvignon und Merlot gehen eine bezaubernde Ehe ein. Alterungstöne finden sich natürlich (noch) nicht so richtig. Tut der Freude aber kein Abbruch. Jeder Schluck führt mich zurück ins Bordeaux.

Eine Erkenntnis nehme ich daraus mit: Ich bin gerne ungeduldig. Cheers!

* Der Abend liegt inzwischen schon ein paar Tage zurück, war also alles coronakonform. Besonderer Dank geht an Felix Bodmann für sein Feedback und seine mahnende Worte.

4 Kommentare zu „Wenn ich einmal groß bin…

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